Insel der schwarzen Perlen
schmales Gesicht huschte ein schüchternes Lächeln, und Elisa hätte sie am liebsten in die Arme genommen. Doch das schien unpassend.
»Wie ich höre, haben Sie sich im Orden gut eingelebt. Mit Mutter Marianne habe ich über Sie gesprochen â¦Â«
»Könnten Sie nicht weiterhin Du zu mir sagen? Es ist, es ist so vertraut.«
»Wenn du es möchtest, Victoria, duze ich dich, und gerne schreibe ich dir von Kauai aus hin und wieder einen Brief. So können wir in Verbindung bleiben, auch wenn in Kriegszeiten die Briefe oft lange unterwegs sindâ¦Â«
Victoria nickte und sah zu Boden. Elisa wusste nicht, was sie ihr sonst noch sagen sollte, denn ihr Herz wog schwer. Victoria schien eine zutiefst verunsicherte junge Frau zu sein und sah zudem unterernährt aus. Elisa hielt es keineswegs für eine gute Idee, sie in ein Kriegsgebiet zu schicken. Doch sie schwieg, denn sie hatte ihre Entscheidung vor langer Zeit getroffen. Nie wieder würde sie Kelii oder den Rest ihrer Familie in Schwierigkeiten bringen.
Die Umarmung, mit der Victoria sie zum Abschied überraschte, ähnelte einer verzweifelten Umklammerung. Kaum hörbar waren die geflüsterten Worte der jungen Nonne, und doch drangen sie voller Kraft an Elisas Ohr.
»Ich liebe Sie, Fräulein Vogel! Sie sind auf der Welt der einzige Mensch, den ich je geliebt habe und je lieben werde. Leben Sie wohl. Gott schütze Sie und Ihre Familie.«
Trockene Schluchzer brachen aus Elisa hervor, als sie Minuten später versteckt hinter dem Vorhang am Fenster stand. Die fadendünne schwarze Gestalt schien mehr zu schweben als auf der Erde zu gehen, als sie durch den Garten eilte. Bevor Victoria hinter den Baumriesen verschwand, beschloss Elisa, mit Liliâuokalani über ihre verlorene Tochter zu sprechen.
Sie wollten nicht aufhören, sich an den Händen zu halten. Beide spürten das Gewicht ihrer letzten Begegnung als wertvollen Schatz, der viele Jahre weiterwirken musste. Im Verweben der Worte und Blicke ging es Elisa mit Liliâuokalani ähnlich wie mit Mutter Marianne auf Molokai. Es war ein letztes Mal auf dieser Erde. Die Hawaiianer sprechen vom Weiterleben des ha, der Atemenergie, der Essenz der Seele in denjenigen, den man mit Liebe im Herzen trug, doch Elisa wollte mehr als das. Jedes Fältchen in dem edlen Gesicht mit den weiÃen Haaren wollte sie sich für immer einprägen. Die ehemalige Königin hatte in ihrer gröÃten Not mit alldem, was ihr im Leben ans Herz gewachsen war, ihren Quilt bestickt. So musste auch Elisa an diesem Tag eine Erinnerung für ihre Kinder und Kindeskinder schaffen. Würde die letzte Königin von Hawaii eines Tages sterben, so fehlte eine Farbe im Regenbogen. Daher skizzierte Elisa heute Liliâuokalani, während sie sprachen.
Der Quilt hing nahe beim Bett, und sie redeten über die geheimen Botschaften des Verrats, die durch Frauenhände in Fäden, Stoff und Nadelstiche geflossen waren.
»Wie naiv ich doch war und wie gutmütig â¦Â«
Die Königin lag jetzt viel im Bett, sie fühlte sich oft schwach, und war im Alter milder geworden, denn als Christin übte sie jeden Tag die Kunst der Vergebung, wie sie Elisa gestand.
»Dennoch will ich nicht im Zorn aus dem Leben scheiden ⦠Schauen Sie nur, wie schön Gottes Garten ist â¦Â«
Die Türen zu Liliâuokalanis kleinem Paradies waren offen, und es wehte der Duft von Frühlingsjasmin zum Bett. In den blühenden Bäumen sangen die Vögel ihr Lied von ewiger Wiederkehr.
»Das hatte ich fast vergessen ⦠Hokulele schickt Ihnen dieses Bild und natürlich viele tausend Küsse â¦Â«
Sie gab der alten Dame das Kinderbild. Hokulele hatte sogar die Buchstaben Liliâuokalani gekrakelt und die Königin mit einer goldenen Krone gemalt. Zu ihrer Rechten und Linken waren die Fische des Pazifiks â und nicht die des Christentums, wie Elisa betonte.
»Kelii will unsere jüngste Tochter nicht mehr christlich erziehen lassen.«
»Hat er den Glauben an Christus endgültig verloren?«
»Seit er sich auf Molokai wieder mehr den alten Göttern zugewandt hat, möchte er Hokulele all das beibringen, was zur Tradition der Aliâi gehört. Auf Kauai wird sie auf keine Missionarschule gehen, sondern im Dorf vom Rat der Ãltesten die alten Lehren empfangen.«
»Und wie ist es mit Ihnen, haben Sie auch Ihren Glauben verloren?
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