Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)
»Wo ist Brian?«
»Hat noch eine Runde über den Campingplatz gedreht. Ist noch unterwegs.«
»Dann wird’s aber höchste Zeit«, sagte sie. Besorgt holte sie den letzten Karton. Als sie auf die Veranda trat, fuhr ihr eine scharfe Bö entgegen, die sie zurück ins Haus drückte. Sie beugte den Oberkörper nach vorn und kämpfte sich mühsam voran.
»Ist dein Haus sicher?« brüllte Giff gegen das Tosen der Brandung an, als er ihr den Karton aus dem Arm riß und in den Jeep warf.
»So gut es geht. Nathan hat mir heute vormittag geholfen. Ist er schon wieder in Sanctuary?«
»Nein, hab’ ihn nicht gesehen.«
»Um Himmels willen.« Sie strich sich die triefenden Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Wo stecken sie bloß? Laß uns bitte am Campingplatz vorbeifahren, Giff.«
»Wir haben nicht mehr viel Zeit, Kirby.«
»Trotzdem. Vielleicht ist Brian in Schwierigkeiten. Der Wind könnte schon die ersten Bäume entwurzelt haben. Wenn er vorhin nicht in Sanctuary war und du ihn auf dem Weg auch nicht getroffen hast, muß er noch drüben auf dem Campingplatz sein. Ich betrete Sanctuary erst, wenn ich weiß, wo er steckt.«
Er öffnete die Tür und schob sie in den Jeep. »Okay, du bist der Boß,« rief er.
»Verdammte Scheißkarre.« Nathan ließ wütend seine Hand auf das Lenkrad niedersausen. Er hatte seine wichtigsten Unterlagen und Geräte in den Jeep geladen, und jetzt wollte die Karre nicht anspringen. Sie machte sich noch nicht mal die Mühe, zu stottern oder zu spucken. Zornig stieg er aus, während der Regen ihm ins Gesicht peitschte. Fluchend öffnete er die Motorhaube. Ausgerechnet jetzt mußte die Karre ihren Geist aufgeben. Aber er hatte keine Zeit mehr, nach der Ursache zu forschen.
Er mußte zu Jo, und zwar sofort. Sonst war alles erledigt.
Er ließ die Motorhaube wieder herunterkrachen, verabschiedetet sich im Geiste von seiner Ausrüstung und machte sich in Richtung Fluß auf den Weg. Erst nach einer Viertelmeile stromaufwärts würde er ihn überqueren können, und der Marsch durch den Wald nach Sanctuary war sicher kein Vergnügen.
Hinter ihm knackte und knarrte es im Gebüsch. Der Wind wütete im Geäst, und als Nathan sich zum Gehen wenden wollte, stieß ihn eine Bö fast spielerisch zurück. Über ihm zuckten die Blitze und tauchten den Himmel in loderndes Orange.
Der Wind brannte ihm in den Augen, ließ seine Sicht verschwimmen. Die Gestalt, die hinter einem Baum hervortrat, sah er erst, als er beinahe mit ihr zusammenstieß.
»Was, zum Teufel, machen Sie denn noch hier?« Es dauerte fast zehn Sekunden, bis er das Gesicht erkannte. »Kyle.« Entsetzen verdrängte den Schrecken. »Mein Gott, was hast du getan?«
»Hallo, Bruderherz.« Kyle streckte ihm die Hand entgegen, als würden sie sich beim Einkaufen treffen. Als Nathan den Blick senkte und seinen entgeisterten Blick auf die Hand seines Bruders richtete, stieß Kyle ihm den harten Kolben des Revolvers gegen die Schläfe.
»Noch einer weniger.« Diesmal warf er den Kopf zurück und lachte dröhnend. Der Sturm gab ihm Kraft. Seine Gewalt erregte ihn. »Hab’s nicht fertiggebracht, meinen Bruder über den Haufen zu schießen, auch wenn er ein unverbesserliches Arschloch ist.« Er ging in die Hocke und flüsterte, als könne Nathan ihn noch hören. »Der Fluß wird über die Ufer treten, hörst du, Bäume werden umfallen. Was auch immer passiert, Bruderherz, es wird Schicksal sein.«
Er richtete sich wieder auf, ließ seinen Bruder in einer Pfütze aus Regen und Blut liegen und machte sich auf den Weg zu der Frau, von der er beschlossen hatte, daß sie ihm gehörte.
Dreißig
Der Regen prasselte auf die Windschutzscheibe des Jeeps, die Scheibenwischer hatten keine Chance. Die Straße löste sich unter den Reifen förmlich auf, und Giff mußte um jeden Meter kämpfen.
»Wir fahren nach Sanctuary«, sagte er. »Brian weiß, daß es sinnlos ist, jetzt noch draußen zu sein, und ich weiß es auch.«
»Dann nimm die Westroute.« Sie betete, daß es nur der Sturm war, der ihr Herz rasen und ihre Glieder erstarren ließ. »Auf der wäre er auch gefahren. Dann sind wir zumindest sicher.«
»Die Südroute ist aber wesentlich schneller.«
»Bitte.«
Widerstrebend steuerte Giff den Wagen nach links. »Brian wird mir das Fell über die Ohren ziehen, weil ich dich länger als unbedingt notwendig durch dieses Unwetter kutschiere.«
»Der Umweg dauert doch nur fünf Minuten.« Sie beugte sich vor und versuchte, durch das Wasser auf der
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