Insel meiner Sehnsucht Roman
tatsächlich sehr breit war – und etwa so nachgiebig wie eine Granitmauer. Danach schöpfte sie Wasser auf seinen Kopf und wusch sein Haar. Leise stöhnte er, während ihre Finger seine Kopfhaut massierten. Sein spürbares Wohlbehagen veranlasste Kassandra, sein Haar noch eine ganze Weile zu bearbeiten – bis ihm schwindlig wurde.
»Hör auf, das reicht!«, klagte er. »Ich ziehe es vor, meinen Verstand zu behalten.«
»Oh, wirklich? Manchmal scheinst du ihn sehr gern zu verlieren.«
Seufzend hob er die muskulösen Schultern. »Ist das nicht verrückt? In deiner Nähe vergesse ich immer wieder, dass ich ein Gehirn besitze.«
»Nein, das ist nicht verrückt«, widersprach sie sanft und spülte den Seifenschaum aus seinem Haar. Inzwischen war ihr Kleid nass geworden und an einigen Stellen durchsichtig.
Royce runzelte die Stirn. »Großer Gott, als wärst du noch nicht verführerisch genug …«
»Keine Ahnung, was du meinst«, entgegnete sie in kokettem Ton und begann, seine Brust zu waschen. Danach kamen alle anderen Körperteile an die Reihe, und besondere Aufmerksamkeit widmete sie den langen, sehnigen Beinen, den Fußsohlen und jeder einzelnen Zehe.
Den Kopf an den Wannenrand gelehnt, stöhnte er wieder. Aber er lächelte. »Die ganze Zeit, als ich da draußen war, dachte ich an dich. Vielleicht störte mich das in meiner Konzentration. Über zwei Meilen weit folgten wir dem Angreifer, bis wir seine Spur verloren.«
»Wen habt ihr verfolgt?«, fragte sie. Als ob sie es nicht wüsste …
»Deilos!«, stieß er hervor. »Er war es. Da bin ich mir ganz sicher.«
Trotz des warmen Dampfs im Badezimmer fröstelte sie. Was sie in ihrer Vision gesehen hatte und was es bedeutete, konnte Royce nicht wissen. Unmöglich … Viel zu sorgsam verbarg sie das Traumbild, das Deilos und sie selbst zeigte, in ihrem Inneren.
Aber Royce liebte Akora. Mit jedem Tag verstand er die Geheimnisse des Inselreichs noch besser. Und er hatte die Instinkte eines Kriegers, vielleicht auch Fähigkeiten, die ihre eigenen übertrafen.
»Wie kannst du das wissen, obwohl du ihn nicht erwischt hast?«
»Weil ich es weiß – ganz einfach.« Untersteh dich, mir zu wiedersprechen, schien der mutwillige Glanz in seinen Augen auszudrücken. Der Badeschwamm glitt wieder nach oben. Bevor er die Hüften erreichte, sagte Royce hastig: »Jetzt hast du dich lange genug um mich bemüht. Den Rest erledige ich lieber selbst.«
»Dafür wirst du ziemlich lange brauchen …« Um sich von verführerischen Gedanken abzulenken, bemerkte sie: »Ich wusste gar nicht, welch großen Spaß es dir macht, deine Füße waschen zu lassen.«
»Hin und wieder darf ein Mann seinen kleinen Schwächen frönen, nicht wahr?«
Erstaunlich schnell folgte er ihr ins Schlafzimmer.
Später lagen sie auf feuchten Laken, denn Royce hatte sich nicht die Zeit genommen, seinen Körper gründlich abzutrocknen.
»Wir müssen nach Ilius zurückkehren«, entschied Kassandra.
»Gute Idee«, stimmte er zu und gähnte herzhaft. Kein Wunder, nach zwei schlaflosen Nächten, der vergeblichen Jagd nach Deilos und der beglückenden Stunde, die sie soeben verbracht hatten. Trotzdem war er noch nicht zu müde, um Pläne zu schmieden. »Locken wir Deilos in die Hauptstadt. Dort wird er nicht so leicht an dich herankommen. Und ich kann ihm eine Falle stellen.«
Eine einfache Strategie, die zweifellos zum Erfolg führen würde… Doch das durfte sie nicht zulassen.
Nein, daran wollte sie vorerst nicht denken …
»Schlaf jetzt«, flüsterte sie und schmiegte sich an ihn.
Zwei Tage später segelten sie in den Hafen von Ilius. Während die Stadt näher rückte, umklammerte Kassandra die Reling so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten.
Die letzte Nachricht über Atreus unverändertes Befinden hatte sie vor zwei Tagen auf Leios erreicht. Und wenn er inzwischen …
Sekundenlang schloss sie die Augen, dann ließ sie ihren suchenden Blick über das Häusermeer schweifen. Wäre ihr Bruder gestorben, würden überall Flammen lodern. Die Menschen würden ihre liebsten Habseligkeiten opfern, die den Erwählten auf dem Himmelspfad begleiten sollten. In allen Tempeln würden Altarfeuer brennen, Tag und Nacht, Priester und Priesterinnen würden davor knien. Und im Palast…
Im Palast würde kein Feuer brennen. Niemand würde eine Mahlzeit kochen, Wasser schöpfen oder Lampen entzünden. Nur die schreckliche, verzehrende Trauer um ein so kurzes Leben würde diese Mauern erfüllen, die
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