Insel meiner Sehnsucht Roman
würden.
»Nur sehr wenige«, erwiderte Royce, »in Schottland und einigen Teilen von Irland. Warum fragen Sie?«
»Auf Leios leben mehrere Wildpferde. Schon vor langer Zeit beschlossen wir, sie nicht in ihrer Freiheit einzuschränken. Aber wir behalten sie im Auge, und wenn wir einen besonders kräftigen Hengst entdecken, holen wir ihn zu unseren Stuten.«
»Eine kluge Entscheidung.«
Lächelnd nickte Goran. »Ich dachte mir, dass Sie dem zustimmen würden.«
In dieser Nacht schlief Kassandra allein. Das versuchte sie zumindest. Goran besaß ein komfortables, allerdings eher kleines Haus, das ihr weder die Privatsphäre des Palasts noch eines Zelts bot. Nach dem Abendessen hatte sie zu Recht vermutet, Royce würde verstehen, dass sie Diskretion üben wollte.
Doch nun schleppten sich die Stunden dahin, und sie fand keinen Schlaf. Schließlich gab sie die Hoffnung auf. Wie üblich, lag sie nackt im Bett. Bevor sie das Zimmer verließ, schlüpfte sie in ein Hemd. Obwohl es nur bis zur Mitte ihrer Oberschenkel reichte, bedeckte es alle Blößen zur Genüge. Um sich die Zeit zu vertreiben, hatte sie ihr Haar zu einem dicken Zopf geflochten, der über einer Schulter lag.
Der Mond stand hoch am Himmel, von einem kreisrunden Hof umrahmt, der am Außenrand violett und innen rötlich schimmerte. In diesem hellen Licht hätte Kassandra mühelos lesen können. Die Bäume und Nebengebäude warfen lange schwarze Schatten auf den silbrigen Boden. Als sie einen kleinen Garten im Atrium betrat, den Gorans Frau liebevoll pflegte, wanderte ihr eigener Schatten voraus. Sie setzte sich auf eine steinerne Bank und lauschte dem Plätschern eines Brunnens. In der milden Nachluft lagen die Düfte von Jasmin, Kräutern und Gräsern. Kassandra fühlte sich müde, verspürte aber nicht jene Erschöpfung, die an den Nerven zerrte. Wenn sie noch eine Weile an diesem friedlichen Ort blieb und dann in ihr Zimmer zurückkehrte, würde sie vielleicht einschlafen.
Während sie darüber nachdachte, hörte sie ein seltsames Geräusch, ganz in ihrer Nähe. Um herauszufinden, woher es kam, spähte sie über ihre Schulter. Plötzlich rauschte die Luft zu ihrer Rechten, und im selben Moment wurde sie von der Bank geschleudert.
Ein paar Herzschläge lang wusste sie nur eins – etwas sehr Großes, Hartes drückte sie zu Boden. Ein Mann. Instinktiv begann sie, sich zu wehren, hielt jedoch sofort inne, weil Royce in ihr Ohr flüsterte: »Sei still!«
Der Länge nach lag er auf ihr, schützte ihren Körper mit seinem. Nun hob er den Kopf und blickte sich um. Im hellen Mondlicht sah sie seine Augen und erschauerte. Diesen Mann kannte sie, hatte mit ihm geschlafen, aber in diesen Sekunden erkannte sie, welch ein gefährlicher Feind er wäre – zweifellos fähig, ohne Zögern und unbarmherzig zu töten.
»Royce«, wisperte sie und berührte seinen Arm. »Mir geht es gut.«
Zunächst dachte sie, er hätte ihre Worte nicht verstanden. Dann entspannte sich sein Gesicht. Er sprang auf, hob sie hoch und trug sie vom Brunnen weg, in den Schatten am Rand des Atriums. Dort stellte er sie auf die Beine. »Bleib hier, bis wir wissen, was geschehen ist.«
Kassandra nahm an, er würde davoneilen und die Umgebung erforschen. Stattdessen trat er ins Mondlicht, das seine Züge hervorhob, als wären sie aus Stein gemeißelt. »Hierher, zur Atreides!«, rief er.
Von allen Seiten stürmten Männer in den Garten. Einige zerrten an ihren Tuniken, andere hatten ihre Schwerter bereits gezogen. Mit schnellen, zielstrebigen Schritten rannten sie zu Kassandra, auch Goran und seine Söhne – der eine zählte höchstens vierzehn Jahre. Zu der Schar gehörten zahlreiche alte Männer, die dem Ruf genauso willig gefolgt waren wie die jüngeren. Sicher hätte der Vorschlag, sie sollten sich fern halten, ihre Ehre beleidigt.
Wieso hat Royce mit dem Gehorsam der Akoraner gerechnet?, überlegte Kassandra, bevor sie von den Leuten umringt wurde. Weil er ein Krieger ist und weiß, dass diese loyalen Untertanen niemals zaudern würden, die Atreides zu retten?
Nachdem er kurz mit ihnen gesprochen hatte, schwärmten sie aus. Zwei oder drei Männer holten Fackeln, die das Atrium taghell beleuchteten. Jetzt erschienen ein paar Frauen. Einige beugten sich aus den Fenstern und fragten, was vorgefallen sei. Doch die meisten zogen sich zurück, sobald sie erfahren hatten, dass die Prinzessin unverletzt war.
Kurze Zeit später wurde der Ziegelstein gefunden, der Kassandra beinahe getroffen
Weitere Kostenlose Bücher