Inselglück
steckte zehn Dollar in den Schlitz, ein kleines Vermögen, weil sie trotz allem, was vorgefallen war, immer noch an Gott glaubte.
Zuerst zündete sie eine Kerze für Connie an, dann eine für Toby und eine für Dan. Sie entzündete Kerzen für Leo und Carver, eine für Ashlyn mit ihrem gebrochenen Herzen und eine für das Baby in ihr, dann jeweils eine für ihre Mutter und ihren Vater. Jetzt hatte sie noch eine Kerze übrig. Sie erwog, sie für Dev anzuzünden oder für Amy Rivers oder für Samantha oder sogar für sich selbst. Von allen Menschen, die sie kannte, brauchte sie am dringendsten eine Kerze. Eins war sicher: Sie würde keine Kerze für Freddy anzünden.
Sie drückte auf den Knopf und dachte: Für Dev. Er war so nett zu ihr gewesen.
Dann schlüpfte sie durch die Flügeltür ins Vestibül, brachte es jedoch nicht übers Herz, die Kirche zu verlassen. Sie kramte in ihrer Tasche nach einem weiteren Dollarschein, ging zurück und zündete noch eine Kerze an – für Freddy.
So war sie nun einmal. Irgendwie gelang es ihr nicht, ihn fallen zu lassen.
Komme, was wolle.
Draußen in der Sonne wartete Connie auf einer Bank.
»Alles gut gegangen?«, fragte sie.
»Ich habe Kerzen angezündet«, sagte Meredith. Sie erzählte Connie nicht, dass eine davon für Freddy gewesen war – doch wem wollte sie etwas vormachen? Connie wusste auch so Bescheid.
»Ich habe was für dich«, sagte Connie und reichte Meredith eine große weiße Einkaufstüte. »Tut mir leid, dass es nicht schön verpackt ist.«
Meredith spähte hinein. Es war eine Küchenmaschine von Cuisinart. »Du kannst natürlich die in meiner Küche benutzen«, erklärte Connie. »Aber die hier ist für dich ganz allein. Ein Schulabschlussgeschenk.«
Meredith war so überwältigt von dem Präsent, dass sie die Augen schloss. Sie dachte zurück an die grausamen Sommerwochen nach der Trennung von Toby. Connie hatte sie zu einer Party in Villanova mitgeschleppt, und Meredith hatte zu viel getrunken, und Connie hatte sie auf dem Rücken nach Hause getragen. Dieser Sommer war wie jener Abend hoch fünfzig Milliarden (das war die höchste Zahl, die Meredith einfiel). In diesem Sommer hatte Connie sie wieder auf dem Rücken getragen, in eine sichere Zuflucht.
»Ich hätte fast eine Kerze für mich selbst angezündet«, sagte Meredith, mit einem Kopfnicken auf die Kirche deutend. »Aber dann wurde mir klar, dass das unötig ist.«
Connie hielt eine Hand hoch. »Sag es nicht, Meredith. Es würde mich zum Weinen bringen.«
»Denn du, Constance – du bist meine Kerze.«
Connie schniefte; Tränen rannen unter ihrer Sonnenbrille hervor. Meredith zog ihre Freundin hoch, und sie gingen quer über die Straße zu Connies Wagen.
Abschiede waren einfach so: Man sah sie von weitem kommen, aber es gab immer noch etwas (Abendessen im Le Languedoc) und noch etwas (Eiscreme in der Juice Bar) und noch etwas (einen Spaziergang auf dem Anleger, um sich die Yachten anzuschauen) und noch etwas (eine Stunde mit Toby draußen auf der Terrasse mit Blick auf die Sterne und dem Wissen, dass kein einziger davon einem selbst gehört) und noch etwas (Liebe, zärtlich und bittersüß) und noch etwas (das Betrachten des Sonnenaufgangs vom Balkon aus) und noch etwas (eine Fahrt zum Supermarkt von Sconset, um aromatisierten Kaffee und Pfirsichmuffins zu kaufen, nur dass sie die mit Pfirsich nicht mehr hatten; es wurde Herbst, und jetzt gab es Heidelbeeren) und noch etwas …
Abschiede, wenn vorauszusehen, dauerten ewig.
Und noch etwas: Toby und Meredith saßen in ihrem Zimmer auf dem Boden und sichteten die Habseligkeiten in ihrem Pappkarton. Unten packten Connie und Ashlyn, und Dan half ihnen, das Auto zu beladen, mit dem sie auf die Mittagsfähre nach Hyannis wollten. Um elf würde Dan Toby zum Flughafen bringen. Tobys himmelblauer Seesack wartete prall gefüllt am oberen Ende der Treppe. Meredith war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, der Abschied möge endlich vorbei sein – keiner mehr hier außer ihr – , und dem, aus jeder verbleibenden Sekunde das Letzte herauszupressen.
Zuerst holten sie die Fotos aus dem Karton, die Meredith umgedreht auf den Fußboden legte. Es war zu schmerzlich, sie anzuschauen. Dann kamen die Jahrbücher der Jungen und Merediths Lieblingstaschenbücher – Goodbye, Columbus und Das Herz ist ein einsamer Jäger. Und da war ihre Langspielplatte, Bridge Over Troubled Water, und schließlich ihr Anthropologieheft. Meredith blätterte darin und
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