Inselglück
Meredith legte auf. Sie hörte, wie Ashlyn und Connie und Dan und Toby unten beschlossen, ein Foto zu machen, bevor sie alle abreisten. Wer hatte eine Kamera? Noch ein Teilabschied, und Meredith war dankbar dafür.
Sie lief hinunter, um sich zu ihnen zu gesellen.
Epilog
Der Herbst auf Nantucket war heiter und erstaunlich schön. Meredith konnte bis zum 25. September schwimmen. Sie hoffte weiterhin auf die Gesellschaft eines anderen Seehundes – ein Bruder von Harold vielleicht oder ein Sohn oder eine Tochter oder ein Freund oder eine Geliebte – , aber es kam keiner.
Dan Flynn, dessen eigentlicher Job es war, über jeden auf der Insel und alles, was passierte, Bescheid zu wissen, trieb für zweitausend Dollar einen zerbeulten Jeep für Meredith auf.
»Das Ding ist nicht gerade ein Schmuckstück«, sagte er. »Aber zumindest sind Sie damit mobil.«
Meredith liebte den Jeep mehr, als sie irgendeins ihrer anderen, schickeren Fahrzeuge geliebt hatte. Sie fühlte sich darin jünger, wilder, freier, wie eine Person, die sie nie gewesen war. Bis zum Alter von achtundzwanzig hatte sie Taxis genommen, dann hatten Freddy und sie sich einen Volvo-Kombi gekauft, der bald durch einen BMW ersetzt wurde, und so weiter und so weiter.
Der Jeep hatte eine Strandvignette, also packte Meredith sich ein Mittagessen ein – selbstgemachten Geflügelsalat, eine reife, saftige Birne und ein Vollkornbaguette – und brach an einem strahlend klaren Donnerstag nach Great Point auf. Das Laub entlang der Wauwinet Road war rostrot und leuchtend gelb. Meredith wollte die Farben verinnerlichen, ebenso wie die der Blumenfelder der Bartlett Farm. Sie wollte die Schönheit bewahren, obwohl sie wusste, dass sie flüchtig war und auch nur sein konnte. Die Zeit würde verstreichen, die Blätter würden fallen, Kinder würden erwachsen werden. Der Gedanke daran bewirkte, dass Meredith sich unaussprechlich einsam fühlte.
Aber da, im Wärterhäuschen, war Bud Attatash. Er beäugte Meredith und den heruntergekommenen Jeep argwöhnisch. Als er sie erkannte, salutierte er jedoch.
Meredith hielt an und schaltete in den ersten Gang. »Hallo, Mr Attatash.«
»Bud, bitte. Sonst fühle ich mich glatt tausend Jahre alt.«
Meredith lächelte ihn an. Er betrachtete den Wagen.
»Sind Sie sicher, der schafft das?«, fragte er.
»Wenn Sie mich bis Sonnenuntergang nicht sehen, kommen Sie dann und holen mich?«
»Wird gemacht«, sagte Bud und räusperte sich. »Der junge Flynn hat mir erzählt, dass Sie den Winter über auf der Insel bleiben und dass Sie einen Job suchen. Nicht unbedingt im Licht der Öffentlichkeit?«
»Genau«, sagte Meredith. Sie brauchte einen Job – des Geldes wegen natürlich, aber auch, um aus dem Haus zu kommen.
»Also, meine Frau sucht jemanden, der in der Bibliothek von Nantucket, im Atheneum, nach Betriebsschluss Bücher einsortiert. Im Sommer hatten sie jede Menge Hilfe, aber jetzt sind alle wieder auf dem College.«
»Wirklich? Das würde ich gern machen.«
»Ein Vermögen verdienen Sie damit nicht.«
Meredith errötete. »Oh«, sagte sie, »ich brauche kein Vermögen.«
Und so sortierte Meredith dienstags bis samstags von 17 bis 21 Uhr im Nantucket Atheneum Bücher ein. Sie arbeitete allein; meistens war die einzige weitere Person in dem hallenden historischen Gebäude der salvadorianische Hausmeister.
Louisa, Merediths ehemalige Haushälterin und Köchin, war auch aus El Salvador gewesen. Erinnerungen an ihr früheres Leben trafen sie manchmal wie Blitze.
Eines Tages las sie einen Gedichtband von Gwendolyn Brooks, ehe sie ihn einsortierte. Mein Gott, dachte sie.
An ihrem Job gefiel ihr einfach alles. Sie mochte die Stille und den musealen Geruch und die Great Hall im Obergeschoss mit ihren Bänden über die Walfanggeschichte von Nantucket und den alten Kochbüchern aus der Region. Sie liebte es, Bücher anzufassen, sie dorthin zu stellen, wo sie hingehörten, an ihren unstrittig richtigen Platz. Wenn sie wenig zu tun hatte, setzte sie sich hin und las ein, zwei Kapitel aus Büchern, die sie vor Jahren gelesen hatte, und sie kamen ihr nagelneu vor. Sie schaute immer wieder in der Kinderabteilung vorbei, wo es ruhig und still war, die Holzautos in ihren Garagen verstaut und Bilderbücher zur Ansicht aufgeschlagen waren. Kinder lasen nach wie vor Goodnight Moon und Lyle Lyle Crocodile, Carvers ehemaliges Lieblingsbuch. Auf einem bunten Teppich standen riesige Plüschsessel in der Form von Zootieren. Meredith fragte
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