Inseln im Netz
Sandbeton und hatte mehr oder weniger Farbe und Form eines angebrannten Brotlaibes. In der Mitte erhob sich ein runder, zweistöckiger Turm aus dem ebenerdigen Hauptbau. Die tragenden Strebepfeiler waren durch massive Betonbogen miteinander verbunden.
Eine breite, bonbonrosa und weiß gestreifte Markise beschattete die Wände und eine schmale, umlaufende Veranda aus sonnengebleichtem Holz. Hinter dem Verandageländer glänzte die Morgensonne auf den Glastüren eines halben Dutzends Gästezimmer, die nach Osten zur See lagen.
Drei Kinder von Feriengästen waren bereits draußen am Strand. Ihre Eltern waren in einer kanadischen Tochtergesellschaft von Rizome beschäftigt und machten Urlaub auf Firmenkosten. Die Kinder trugen dunkelblaue Matrosenanzüge und flache Strohhüte mit wehenden Bändern, im Stil des neunzehnten Jahrhunderts. Die Kleider waren Souvenirs aus Galvestons historischem Stadtkern.
Der größte Junge, ein Zehnjähriger, rannte auf Laura zu und hielt einen langen Holzstock über den Kopf. Hinter ihm sprang ein moderner Windskulptur-Flugdrachen aus den Armen der kleineren Kinder in die Höhe und entfaltete seine gestaffelten, in blauen und grünen Pastelltönen gehaltenen Flügel im Wind. Der Zehnjährige verlangsamte seinen Lauf, wandte sich um und hatte Mühe, der Zugwirkung des Drachens standzuhalten. Der lange Drachen bewegte sich im Wind hin und her und machte unheimlich schlängelnde Bewegungen. Die Kinder kreischten vor Vergnügen.
Laura blickte zum Dach des Turmes hinauf. Am Fahnenmast wurden die Flaggen von Texas und Rizome Industries aufgezogen. Der alte Mr. Rodriguez winkte ihr kurz zu, verschwand dann hinter der Satellitenantenne. Mit der Flaggenhissung begann für den alten Mann der Tag.
Laura hinkte die Holztreppe zur Veranda hinauf und stieß sich durch die schweren Glastüren der Eingangshalle. Im Innern hielten die massiven Wände des Ferienheimes noch die Nachtkühle fest. Und den erfreulichen Geruch texanisch-mexikanischer Küche: Pfeffer, Maismehl und Käse.
Mrs. Rodriguez war noch nicht am Empfangsschalter; sie war eine Spätaufsteherin, nicht so flink wie ihr Mann. Laura ging durch den leeren Speiseraum und die Treppe hinauf zum Turm.
Bei ihrer Annäherung öffnete sich die Tür, und sie kam durch das Obergeschoß in einen runden Konferenzraum mit moderner Büroeinrichtung und gepolsterten Drehsesseln. Hinter ihr schloß sich die Falttür selbsttätig.
David, ihr Mann, lag ausgestreckt auf einem Sofa aus Korbgeflecht und hatte das Baby auf der Brust. Beide schliefen. Eine von Davids Händen lag mit gespreizten Fingern auf dem nachthemdbekleideten Rücken der kleinen Loretta.
Das Morgenlicht strömte durch die dicken runden Fenster des Turmes und schnitt Bahnen durch die Luft. Es verlieh den Gesichtern der Schlafenden eine seltsame Renaissancetönung. Davids Kopf lag auf einem Kissen, und sein ausdrucksvolles Profil erinnerte an eine Münze der Medici. Das entspannte und friedliche Gesicht des Säuglings, dessen Haut wie Damast war, wirkte zauberhaft frisch und neu.
David hatte eine Wolldecke am Fuß des Sofas zusammengedrückt. Laura breitete sie sorgsam über seine Beine und das Baby. Sie zog einen Korbstuhl heran und setzte sich zu ihnen, streckte die Beine von sich. Angenehme Müdigkeit überkam sie. Sie überließ sich ihr eine Weile, dann stieß sie Davids Schulter an. »Morgen.«
Er regte sich, richtete sich auf und nahm Loretta in die Arme; sie schlief in kindlicher Unbekümmertheit weiter. »Jetzt schläft sie«, sagte er. »Aber nicht um drei Uhr früh. Zur Mittenacht der menschlichen Seele.«
»Nächstes Mal stehe ich auf«, sagte Laura. »Bestimmt.«
»Wir sollten sie zu deiner Mutter ins Zimmer tun.« David strich sich langes schwarzes Haar aus den Augen und gähnte in die Knöchel. »Mir träumte, ich sah meine Optima Persona.«
»Ach?« sagte Laura überrascht. »Wie war es?«
»Ich weiß nicht. Ungefähr, was ich nach dem Zeug, das ich darüber gelesen hatte, erwartete. Erhebend und dunstig und kosmisch. Ich stand am Strand. Nackt, glaube ich. Die Sonne ging auf. Es war hypnotisch. Ich spürte dieses ungeheuere Gefühl totaler Begeisterung. Als hätte ich ein reines Element der Seele entdeckt.«
Laura runzelte die Stirn. »Du glaubst doch nicht an diesen Scheiß?«
»Nein. Deine O.P. zu sehen - das ist eine Modeerscheinung. Wie früher die Leute sich einbildeten, UFOs zu sehen, weißt du? Irgendein Exzentriker in Oregon sagt, er habe eine Begegnung
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