Inseln im Netz
zumeist glücklich gewesen - riesig und behaftet mit allerlei Weh, aber von den Hormonen der Mutterschaft in Stimmung gehalten. Trotzdem hatte David es mit ihr nicht leicht gehabt. »Stimmungsumschwünge«, hatte er dazu gesagt und mit einfältiger männlicher Toleranz gelächelt.
In den letzten Wochen waren sie beide schreckhaft und nervös gewesen, wie Stalltiere vor einem Erdbeben. In dem Versuch, damit fertigzuwerden, hatten sie ihre Zuflucht in Plattheiten gesucht. Die Schwangerschaft war eine jener archetypischen Situationen, die Klischees zu erzeugen schienen.
Aber es war die richtige Entscheidung zur rechten Zeit gewesen. Jetzt hatten sie das Heim, das sie gebaut, und das Kind, das sie sich gewünscht hatten. Besondere Dinge, seltene Dinge, Schätze.
Das Ereignis hatte ihre Mutter wieder in ihr Leben gebracht, aber das würde vorübergehen. Im Grunde war alles in Ordnung, sie waren glücklich. Nichts wild Ekstatisches, dachte Laura, aber ein solides Glück von der Art, wie sie es nach ihrer Meinung verdient hatten.
Laura zupfte an ihrem Scheitel und betrachtete den Spiegel. Diese feinen grauen Fäden - vor dem Kind waren es nicht so viele gewesen. Sie war jetzt zweiunddreißig, seit acht Jahren verheiratet. Sie befühlte die Krähenfüße in den Augenwinkeln und dachte an ihrer Mutter Gesicht. Sie hatten die gleichen Augen - weit auseinanderstehend und blau, mit einem gelblichgrünen Schimmer, wenn die Sonne darauf schien. »Coyotenaugen«, hatte ihre Großmutter sie genannt. Laura hatte die lange gerade Nase und den breiten Mund ihres Vaters, mit einer Oberlippe, die etwas zu schmal war. Ihre Vorderzähne waren zu groß und eckig.
Das Erbgut, dachte Laura. Willkürliche Vererbung verschiedener Einzelmerkmale als Folge der Rassenmischung. Da es Erbeinheit kaum noch gibt, hat heutzutage kein Mensch eine Ahnung, wie sein Kind aussehen wird.
Sie umrandete ihre Augen, legte Lippenstift und Videorouge auf. Dann zog sie eine Strumpfhose, einen knielangen Rock, eine langärmelige Bluse in gemusterter chinesischer Seide und einen dunkelblauen Blazer an. Ins Revers steckte sie eine Anstecknadel mit dem Firmenzeichen von Rizome.
Kurz darauf gesellte sie sich im Speiseraum des Ferienheimes zu David und ihrer Mutter. Die Kanadier, für die es der letzte Urlaubstag war, spielten mit dem Baby. Lauras Mutter aß ein japanisches Frühstück, kleine Reiskuchen und winzige glotzäugige Fische, die nach Kerosin rochen. David hatte das Übliche bereitet: geschickt getarntes essenähnliches Zeug. Lockere Nachahmungen von Rührei, Speck aus Sojabohnen, Pfannkuchen aus dickem gelbem Scop.
David war vernarrt in Gesundheitsnahrung, ein großer Anhänger unnatürlicher Lebensmittel. Nach acht Jahren Ehe war Laura es gewohnt. Wenigstens verbesserte sich die Technik. Selbst das Scop, aus genetisch veränderten Einzellern gewonnenes Protein, war heutzutage besser. Es schmeckte nicht übel, wenn man die Vorstellung von riesigen Proteinkesseln, die bis zum Überquellen mit wimmelnden Bakterien gefüllt waren, verdrängen konnte.
David trug seinen Overall. Er wollte heute zum Hausabriß gehen und hatte seinen schweren Werkzeugkasten und den Ölarbeiter-Schutzhelm seines Großvaters bereitgelegt. Die Aussicht auf den Abriß von Häusern - schmutzige, brechstangenschwingende Muskelarbeit - erfüllte David stets mit kindlicher Freude. Er sprach gedehnter als sonst und goß heiße Chilisoße auf seine Rühreier, unfehlbare Kennzeichen seiner guten Laune.
Lauras Mutter, Margaret Alice Day Garfield Nakamura Simpson, trug ein blaues japanisches Kleid aus Seidenkrepp in Taftbindung, mit einer herabhängenden Gürtelschärpe. Ihr geflochtener Strohhut von der Größe eines Wagenrades hing ihr auf dem Rücken. Sie nannte sich Margaret Day, da sie sich kürzlich von Simpson, einem Mann, den Laura kaum kannte, scheiden ließ.
»Es ist nicht mehr das Galveston, an das ich mich erinnere«, sagte sie.
David nickte. »Weißt du, was ich vermisse? Die Trümmer. Ich war zehn, als die Katastrophe über die Stadt kam, und wuchs in der Trümmerwüste der Insel auf. All diese Strandhäuser, abgerissen, angespült, herumgeworfen wie Spielwürfel... Das Chaos schien unendlich, voller Überraschungen.«
Lauras Mutter lächelte. »Darum bist du geblieben?«
David trank seinen Frühstückssaft, der aus einer pulverisierten Mischung kam und von einer Farbe war, die in der Natur nicht vorkam. »Also, nach 02 ging jeder fort, der ein bißchen Verstand
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