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Inselwaechter

Inselwaechter

Titel: Inselwaechter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob M. Soedher
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stellte Schielin fragend fest.
    Sie kontrollierte den Bildschirm. »Nein, keine vorzeitige Abreise.«
    Schielin bedankte sich für die Auskunft und erklärte, dass sie im Moment nicht das Gespräch mit Frau Schirr und ihren Begleitern suchen wollten. Er bat aber darum verständigt zu werden, falls eine der Personen beabsichtigte abzureisen. Er verzichtete darauf zu erwähnen, dass gegenüber den betroffenen Gästen nichts von ihrem Besuch und ihren Fragen erwähnt werden sollte. Das war hier nicht erforderlich; und wo es erforderlich war, wäre es sinnlos gewesen es zu sagen.
    *
    Als beide die Rückfahrt zur Dienststelle antraten, waren im Herzen der Insel, zwischen dem Haus zum Cavazzen, Neptunbrunnen, Stephanskirche und Münster die Marktstände bereits aufgebaut. Geruch von frischem Brot, Gewürzen und Olivenöl lag in der Luft. Dr. Helmut Grohm und Dr. Claire Wilms schenkten den überbordenden Gemüse- und Obstständen, dem Geräucherten, Gebackenen, Gebratenen und Eingelegten nicht einen Blick. Sie eilten durch die schon dichte Menge und empfanden die genießend Schauenden als Hindernis. Dr. Helmut Grohm kannte sich aus in Lindau. Oft war er schon durch die Straßen und Gassen geschlendert, hatte vermeintlich Bekanntes immer wieder aufs Neue entdeckt. Vor einigen Minuten, gerade als er seiner Begleiterin vorschlagen wollte, eine Stärkung im Fidelisbäck zu holen, hatte sein Handy in der schmalen Innentasche seines Jacketts vibriert, wodurch der von Gelassenheit und genussvoller Bedachtheit geprägte Spaziergang ein jähes Ende gefunden hatte. Melanie Schirr war die Anruferin. In nur wenigen Worten, schon in Eile, konnte er seiner Begleiterin Claire Wilms erklären, was er erfahren hatte.
    Das Pärchen fiel auf, in seiner Eile und der nun fehlenden Ausstrahlung von Gelassenheit. Dieses Gehetztsein passte am allerwenigsten zur Erscheinung von Helmut Grohm. Seine nach hinten gekämmten, glatten weißen Haare, der braune Teint, der hellgraue Bart, dazu seine Kleidung, geschmackvoll, teuer und doch bildungsbürgerliches Understatement betonend, passte so ganz zur Gestalt dieses Endfünfzigers. Dr. Helmut Grohm war eine Erscheinung, wie man sie gerne in Lindau sah. Gebildet, solvent, unaufdringlich. Ein Connaisseur. Eine solche Gestalt gehörte förmlich an einen der Cafétische an der Hafenpromenade und wenn es ihn nicht schon gegeben hätte, so hätte das Marketing von ProLindau ihn erfinden müssen.
    Umso mehr stand seine energische, nichts und niemanden beachtende Eile im Gegensatz zu seinem Äußeren. Kaum zu glauben, dass eine so souveräne Erscheinung außer Rand und Band geraten konnte. Die Frau, die ihm folgte, befand sich förmlich in einer Heckwelle von ungestümer Energie und innerem Aufruhr.
    *
    Für Conrad Schielin und Lydia Naber war der Rückweg zur Dienststelle eine Geduldsprobe.
    »Und? Immer noch Eiszeit im trauten Heim?«, fragte Lydia wie beiläufig und sah hinüber zur Spielbank.
    Schielin lachte unecht.
    »Wird es zu einer Verhandlung kommen?«, fragte sie ohne Neugier.
    »Nein, nein, das wird es nicht. Ich habe dem Herrn Geflügelfleischproduzenten einen Besuch abgestattet und meine Sicht der Dinge dargelegt. Sein Anwalt war dabei. Ich überlege noch, ob ich Strafantrag stellen soll.«
    »Wie geht es der Lena denn?«
    Schielin wog den Kopf. »Na ja. Ist schon ein wenig schockiert.«
    Lydia schüttelte den Kopf. »Und die sind da in der Nacht echt eingebrochen, in diese Hühnerfarm?«
    »Nicht alle. Nur ein paar von der Truppe … ökumenische Landjugend …«
    »Ja, und was wollten die denn da machen – hunderttausend Hühner befreien, oder was?«
    »Einhundertzwanzigtausend sind es. Aber genau das ist die Frage, auf die sie keine Antwort haben. Was sollte das? Schwachsinn halt, Emotionen, Gerechtigkeitsgefühl. Wie man halt so ist in dem Alter. Dass dieser eklige Kerl gleich mit seinen Rottweilern anrückt, damit hatten die nicht gerechnet. Du musst dir mal vorstellen. Die schlachten am Tag … am Tag! … zweihundertvierzigtausend Hähnchen, jeden Tag! Eigene Produktion und Anlieferung. Da wird in drei Schichten à sechs Stunden gearbeitet und in dieser Zeit werden in jeder Sekunde fünf Hähnchen getötet. Jede Sekunde, einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig. Pro Tier liegt der Verdienst in der Produktion bei etwa vier bis fünf Cent.«
    Lydia Naber schüttelte sich. »Und die Lena hatte sich oben im Stadel versteckt, nicht?«
    »Ja. Sie war es, die die Polizei angerufen hat,

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