Inselwaechter
was gerade um sie herum geschah. Einzig Helmut Grohm blieb auf dem Pfad der Ordnung und schien einen Plan davon zu haben, was richtig sei in dieser Situation.
»Ja, wir haben es verstanden, Agnes ist ermordet worden. Kein Grund für dich, hier durchzudrehen und überstürzt abzureisen. Die Polizei wird nach dir suchen lassen.«
Melanie Schirrs Stimme überschlug sich, als sie schrie: »Nach mir, wieso nach mir!?«
Helmut Grohm erschrak und ging besänftigend auf sie zu. »Man wird Ermittlungen anstellen. Natürlich wird die Polizei erfahren, dass wir uns hier mit Agnes getroffen haben und sie werden Fragen stellen. Das ist ihre Aufgabe, ihr Job. Wenn du in hysterischer Weise die Klamotten in den Koffer packst und davonrennst, dann sieht das doch aus wie eine Flucht und sie werden dich dann ganz anders behandeln, wenn sie dich haben.«
»Flucht!? Aber weswegen denn!? Wieso sollte ich flüchten?« Sie stand auf und ging ins Bad, kam zurück, nahm etwas aus dem Kleiderschrank, ließ es auf das Bett fallen, hielt die Hände vors Gesicht, krabbelte über die Matratze und lief zum Fenster, wo sie sich mit beiden Händen an den Rahmen festhielt. Wie ein gejagtes Wild, das sich gefangen sah.
Auf dem Gesicht von Grohm zeigte sich Unwillen. Er ging ins Bad und kam mit einem Glas Wasser in der Linken zurück. Mit strengem, keine Widerrede duldenden Ton hielt er es Melanie Schirr hin: »Nimm das!«, und wiederholte noch energischer: »Nimm das!«
Als sie den Kopf wegdrehte, scheute er auch vor Körperkontakt nicht zurück und zwängte sie zwischen sich und dem Fensterbrett ein. »Nimm das endlich!«
Melanie Schirr öffnete den Mund und er schob zwei weiße Tabletten über ihre Lippen. Wie willenlos nahm sie danach das Glas Wasser entgegen und trank wie eine Verdurstende.
Fassungslos war Claire Wilms dem skurrilen Ablauf gefolgt.
Helmut Grohm nahm einen Stuhl und drehte ihn zurecht, bevor er sich setzte. Er sprach eindringlich und ohne Anflug von Aufregung in der Stimme: »Wir werden uns jetzt beruhigen. Es ist nicht in unsrem Sinne, wenn die Polizei der Meinung wäre, wir hätten mit der Angelegenheit etwas zu schaffen. Daher werden wir uns nach dem Mittagessen bei mir im Tagungszimmer treffen.«
Es war das erste Mal, dass Claire Wilms etwas sagte. »Angelegenheit? Welche Angelegenheit? Agnes ist umgebracht worden … das ist doch keine Angelegenheit.«
Grohm klang ungehalten. »Ich werde nicht zulassen, dass sich jemand von uns in unnötige Schwierigkeiten bringt. Was genau geschehen ist, wissen wir ja noch gar nicht. Ich denke es ist das Beste, wir gehen nun auf unsere Zimmer und ordnen die Gedanken, soweit die Situation dies zulässt. Wenn es denn möglich ist, treffen wir uns zum Mittagessen unten im Restaurant.«
Claire Wilms beherrschte ihren aufkeimenden Zorn. »Mir ist nun überhaupt nicht nach Mittagessen. Was ist überhaupt passiert mit Agnes. Woher wisst ihr, dass sie ermordet worden ist!?«
Melanie Schirr saß teilnahmslos auf dem Bettrand und schwieg. Grohm antwortete: »Sie hat es erfahren, bei ihrem Spaziergang im Hafen.«
Claire Wilms sah zu Melanie Schirr. »Melanie! Was ist passiert!?«
»Agnes ist tot. Mehr weiß ich nicht«. Sie sprach matt und müde, wie abwesend. Claire Wilms war nicht der Meinung, dass die Tabletten schon wirken konnte. Was immer Grohm ihrer Kollegin gegeben hatte, begann bereits einen Schleier von Gleichmut über die gerade noch tosende Verzweiflung zu legen.
»Was spricht dagegen, dass sie abreist?«, fragte Claire Wilms streng in Richtung Grohm. Sie gelangte langsam wieder zu klarem Denken und wollte sich von ihm nicht kommandieren lassen. Er sah zum Fenster hinaus. Ein Ausflugsschiff passierte gerade den Leuchtturm. Entlang der Reling drängten sich die Menschen und genossen den Blick in den Hafen, auf die prächtige Front der noblen Hotels, die Türme der Stadt. Einige winkten und man konnte die ausgelassenen Gesichter erkennen. Grohm nahm es wahr wie einen Film und sagte: »Sie hat sich gestern mit Agnes gestritten.«
»Ja, und? Das ist noch lange kein Grund …« Sie sprach nicht weiter.
Grohm wendete sich um und sah sie an. »Ich wollte nur vermeiden, dass sie sich unnötigen Fragen aussetzt. Fragen werden sowieso gestellt. Ich hielte es weder für freundschaftlich noch für kollegial, wenn ich es zulassen würde, dass Melanie ihres Verhaltens wegen mit belastenden Dingen ihrer Vergangenheit konfrontiert werden würde. Ich denke, es ist nun eine Phase der Ruhe
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