Inselwaechter
unerwartet umfing, blieb sie ein paar Sekunden mit geschlossenen Augen stehen und sog die süßen Aromen ein.
Da kam man aus Lindau und musste in München Lindenduft erleben?
Die Kollegin wartete bereits vor dem Eingang zum Loft im fünften Stockwerk. Es war eine dieser jungen Selbstbewussten, die so viel Kraft und Energie ausstrahlten, dass man selbst müde davon wurde.
Lydia Naber merkte, wie ihre Aufgeregtheit dichter wurde, als sie durch die Tür in die Wohnung trat. Was würde sie erwarten? Mit welchem Bild von Agnes Mahler würde sie nach Lindau zurückfahren, nachdem sie ihre Wohnung gesehen hatte?
Hinter der Tür öffnete sich zunächst ein breiter Gang, eher ein Vorraum mit großzügiger Garderobe und eingepassten Schränken. Die Türe rechts führte in ein weiträumiges Bad mit großen weißen Bodenfließen und schwarzer, schmaler Bordüre an der Wand. Gegenüber ging es in einen fensterlosen Abstellraum. Die Tür der Frontseite leitete direkt in den gewaltigen Wohnraum. Dunkler Parkettboden, helle Wände und eine breite Fensterfront mit Blick über die Bahngeleise hinweg in Richtung Innenstadt. Die Hackerbrücke war zu sehen. Draußen fuhren Züge, lautlos und schwebend. Kein Rumpeln, Quietschen und Rattern war hier oben zu hören. Es war wie der Blick auf eine Modelllandschaft. Ein schwarzes Ledersofa stand an der Wand, zwei, drei Regale mit Büchern und CDs – Jazz und Klassik. Ein Tisch, Fernseher und Stereoanlage. Großflächige, expressionistische Ölgemälde durchbrachen das strikte Konzept aus hell und dunkel. Zu beiden Seiten führten Durchgänge zu weiteren Räumen. Schlafzimmer, Arbeitszimmer, Küche und ein Gästezimmer.
»Es ist ihre Wohnung«, sagte die Münchner Kollegin.
Lydia sah anerkennend zu ihr.
»Sie hat sie vor knapp zwei Jahren gekauft. Haben mir die Eltern erzählt«, und etwas leiser, »einhundertsiebenundfünfzig Quadratmeter. Totaler Wahnsinn, oder? Und dann sterben müssen.«
»Sehr aufgeräumt und übersichtlich«, meinte Lydia und stöberte durch die Regale.
»Das ist wie Kino hier oben. Da braucht man nur aus dem Fenster schauen – ist immer was los drunten, ohne dass man etwas damit zu tun haben müsste«, sie sah hinunter auf die Erdmenschen und schürzte die Lippen, »Psychologin war sie also … sexueller Hintergrund?«
»Nein – einfach so. Einfach so erstochen. Ein hinterhältiger, böser Stich in den Rücken«, antwortete Lydia.
Als sie mit der Inspizierung der Wohnung fertig war, traf sie sich mit Felicitas von Banz in der Nymphenburger Straße, bei einem Italiener – Bellini. Den Treffpunkt hatte die Anwältin vorgeschlagen, weil sie sich an ihre Heimat erinnert fühlte. Als Lydia nachfragte, ob sie italienische Wurzeln habe, bekam sie zur Antwort, dass das Restaurant früher Fränkischer Hof geheißen habe. Erinnerungen und Gefühle nahmen manchmal seltsame Umwege.
Sie saßen an einem Tisch in der linken hinteren Ecke. Die meisten Leute genossen draußen die Sonne und die laue Luft. Hier drinnen konnte man sich ungestörter unterhalten. Entgegen ihrer Absicht konnte Lydia Naber der Speisekarte nicht widerstehen: Perlhuhn. Felicitas von Banz hatte der Tod ihrer Freundin sehr mitgenommen und so kam es zu häufigen Unterbrechungen der Unterhaltung. Lydia Naber störten die Weinanfälle überhaupt nicht, denn sie verschafften ihr die Zeit genussvoll zu essen. Immerhin erfuhr sie, dass Agnes Mahler erst vor Kurzem die Entscheidung getroffen hatte, die Kanzlei zu verlassen. Worin der Grund für diese Entscheidung lag, wusste die Freundin nicht. Als Lydia Naber die Frage stellte, ob vielleicht die Beziehung zu Grohm der Grund dafür sein konnte, sah sie in verwundert dreinblickende, gerötete Augen. Irritiert erklärte ihr Frau von Banz, dass es niemals eine Beziehung zwischen Grohm und Agnes Mahler gegeben hätte. Auf die Nachfrage, wie sie zu einer solch verrückten Annahme käme, winkte Lydia Naber ab. »War nur so ein Gedanke.«
Felicitas von Banz war sichtlich indigniert. »Ich habe diesen Grohm zwei-, dreimal gesehen. Er ist so gar kein Typ für Agnes, gar nicht.«
»Wann haben Sie sich das letzte Mal gesehen?«
»Das ist einige Wochen her. Agnes war einige Zeit unterwegs gewesen und als sie zurückkam, musste ich beruflich ins Ausland. Wir wollten uns eigentlich jetzt treffen.«
»Sie war im Ausland?«
»Ja. Ich weiß es gar nicht genau. Sie hat es nur so nebenzu erwähnt. Ich glaube Budapest … aber ich weiß nicht genau. Ist ja eine schöne
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