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Inselwaechter

Inselwaechter

Titel: Inselwaechter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob M. Soedher
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getötet worden. Dass dies bei Sonnenaufgang über den Wassern des Bodensees und vor der endzeitlichen Kulisse der Alpenkette von Pfänder bis Säntis geschehen war, tat nichts Wesentliches zur Sache.
    Wenzel erzählte nicht von der milden Erschütterung, mit der er auf die Leiche geblickt hatte, als die vor ihm auf dem kalten Stahltisch gelegen hatte. Er, der so oft bei Obduktionen dabei gewesen war, hatte zum ersten Mal Verständnislosigkeit gespürt und war in einen Zustand sanfter Betäubung gefallen, der ihn bis zu seiner Rückfahrt nicht wieder losgelassen hatte. Erst an der Argenbrücke war er aus dieser Trance erwacht und erschrocken darüber gewesen, sich überhaupt nicht erinnern zu können, wie er aus Memmingen heraus und auf die Autobahn gekommen war. Irgendwie war es ihm geglückt, aber ohne dass er es bewusst wahrgenommen hätte. Er konnte auch nicht mehr rekonstruieren, welche Gedanken es waren, die ihn beschäftigt hatten. Was zurückblieb war ein graues Nichts, gefüllt mit vagem Erinnerungsnebel, Bruchstücke schemenhafter Gestalten, Gebäude, Emotionen und Landschaften. Er sah zurück auf einen kurzen Zeitabschnitt, in welchem er zwar mitten im Leben gewesen war und sich dennoch an nichts konkret erinnern konnte. Hatte ihm jemand zugewunken, sich andere Autofahrer über ihn geärgert, gewundert, ihn angeblinkt – nichts.

    Er spürte die Ratlosigkeit in der Runde und sah auf seinem Notizblock nach, um weitermachen zu können. Genau – der Todeszeitpunkt. Der war auf zwischen vier Uhr und halb sechs in der Früh festgelegt. Die Temperaturmessungen am Tatort hatten ein solches Ergebnis schon erwarten lassen. Es half nicht sonderlich weiter.
    Eine Kleinigkeit aber, die hatte er noch. Vielleicht konnte diese Information das Verlangen nach der Mörderjagd wecken. Trotz seiner starken Kurzsichtigkeit hatte der alte Landgerichtsarzt etwas auf dem Rücken der Toten entdeckt. Neben der Einstichwunde war ein zickzackförmiges Muster zu erkennen. Nicht auf den ersten Blick, aber bei näherer Nachschau mit einer Lupe trat es ganz deutlich hervor. Eine Naht der Seidenbluse war vom Handschutz des Messergriffs derart heftig gegen die Haut gepresst worden, dass sich das Fadenmuster dort abgedrückt hatte. Der Messerstoß musste demnach mit enormer Wucht geführt worden sein.
    Eine kleine, aber wichtige Information, die Wenzels Gewissen dahingehend beruhigte, nicht völlig ohne kriminalistisches Futter für seine Kollegen zurückgekehrt zu sein.
    *
    Lydia Naber hatte bisher geschwiegen. Nun ergriff sie das Wort. »Na also, da haben wir doch wenigstens einen kleinen, schmutzigen Hinweis – es war doch demnach eine sehr emotionale Geschichte, die ich nicht erwartet hätte, so kühl, wie das dort auf der Mole aussah. Unser Messerstecher könnte demnach ein Täter sein, der zwar über ein immenses Erregungspotenzial verfügt, der wütend und zornig sein kann, sich aber auch in affektiven Situationen sehr gut unter Kontrolle hält, sofern der Begriff Kontrolle in diesem Zusammenhang die richtige Bezeichnung ist. Das bringt mich direkt zu dem, womit ich mich am Wochenende beschäftigt habe. Zwar viel kürzer als ich wollte, aber immerhin blieb etwas Zeit für den Garten. Zuvor aber noch die Info, dass dieser Ravensburger Bauunternehmer heute noch hier auftauchen wird, um uns zu erklären, wie es dazu kam, dass sein Boot führungslos am See spazieren war. Nun gut.«
    Die Augen der anderen waren inzwischen auf sie gerichtet und nach einem kurzen Innehalten sagte sie voller Ruhe und mit ausgedehnter Betonung der Vokale: »Schabab!«
    Schweigen. Fragende Augen. Kimmel massierte seine Hände.
    Sie wiederholte freudig: »Schabab! Keine Angst, ich habe keinen verbotenen Kräutertee getrunken. Ich habe die Zugfahrt genutzt, um mich mit Schafgarbe, Kornrade, Jungfer im Grünen, Wegwarte und Augentrost zu beschäftigen.«
    Kimmel knurrte was von Magic Mushrooms und Rauchen, Gommi kicherte und die anderen lehnten sich entspannt zurück. Schielin hingegen hielt seine Anspannung aufrecht, denn er wusste, Lydia machte keine Späße. Nicht in der täglichen Besprechung, die Kimmel heilig war.
    Sie sprach leise und mit wichtigem Ton weiter. »Im Kern meiner Betrachtungen geht es um das Begehren , um eine Liebe, die nicht erwidert wird.«
    Gommi jammerte und lachte meckernd zugleich: »Oje, oje, wenn’s da jedes Mal gleich Tote gäb.«
    Robert Funk lachte vielsagend. Schielin schloss die Augen.
    Lydia fuhr unbeeindruckt fort. »Wie

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