Inselwaechter
auch die Erste, die das Blatt aus dem Faxgerät nahm und las. Ab diesem Zeitpunkt hatte sie aufgeregt im Büro gesessen, war im Gang auf und ab gegangen und hatte immer wieder hinaus in den Hof gesehen, wann Schielin denn endlich auftauchen würde.
Nun saß er ihr gegenüber im Sessel und tippte seine Benutzerdaten in den Computer. Dabei durfte man ihn nicht stören. Sie war ruhig geworden und wartete, bis er fragte. Sie sah ihm an, dass er ausgeruht war. Nachdem er laut auf die Returntaste geschlagen hatte, kam das gewohnte »Und?«.
Sie tat auffällig unbeteiligt. »Mhm, och. Na ja.«
Er sah auf und legte die Stirn in Falten. »Also was?«
Sie wedelte mit dem Fax herum. »Nur eine Info vom Landeskriminalamt.«
»Ich höre.«
»Betrifft Agnes Mahler.«
»Ach was du nicht sagst. Betrifft also Agnes Mahler. Na, da wäre ich gar nicht draufgekommen. War sie vielleicht Agentin?«
Lydia Naber überging seine gespielte Gereiztheit. »Nö. Agentin war sie nicht. Aber sie hat heute Nacht mit ihrem Handy telefoniert.«
Schielin brauchte einige Sekunden.
»Du meinst …«
»Genau das meine ich. Heute Nacht hat sich ihr Handy ins Netz eingeloggt. Die Zellauswertung liegt auch schon vor – Bereich südliches Aeschach und Insel.«
»Mensch, das ist ja ein Hammer.«
»Allerdings. Zwei Minuten und vierundvierzig Sekunden war das Handy am Netz. Dann hat derjenige, der es in den Händen hielt, wieder ausgeschaltet. Eine Leitung wurde nicht aufgebaut, weder für ein Gespräch, noch für Datenübertragung.«
»Zwei Minuten und vierundvierzig Sekunden …« wiederholte Schielin, »das ist nicht lange. Aber lange genug, um etwas nachzusehen. Und wenn es der Täter war, dann hat er aber lange gewartet.«
»Er hat etwas gesucht«, meinte Lydia, »er hat nach einer Information gesucht, die in ihrer Tasche nicht zu finden war. Sonst wäre er niemals das Risiko eingegangen das Handy einzuschalten. Dass es nur so kurz eingeloggt war, bedeutet doch, er wusste, welches Risiko er damit einging. Und er hat drei lange Tage darauf verzichtet.«
Schielin rieb nachdenklich mit den Fingerkuppen über seinen Mund. »Ja, das hat er. Er muss unter Druck sein. In drei Tagen hat er es nicht geschafft, das Ding aus dem Umfeld des Tatortes wegzubringen. Was kann er nur gesucht haben, um ein solches Risiko einzugehen?«
Lydia blätterte in den Unterlagen, rollte dann mit den Augen und sah zur Decke. »Ein iPhone. Da kann man nach allem Möglichen und Unmöglichen suchen: Kontakte, Fotos, Filme, Dokumente …«
Schielin presste die Lippen aufeinander und zischte. »Aeschach und Insel. Da ist jemand unterwegs, der hat ihre Tasche und ihr Handy, geht das Risiko ein, dieses kleine, böse Ding zu starten … eine ätzende Vorstellung!«
»Und wie suchen wir nun weiter?«, fragte Lydia.
Schielin griff nach dem Fax und betrachtete es, als stünde dort die Antwort auf die an ihn gerichtete Frage. Ohne den Blick vom grau schimmernden Papier zu nehmen erklärte er die Fahndung nach Bernd Dohmen als vorrangig. Der Kerl musste her. Dringend.
*
Jasmin Gangbacher war mit Grohm befasst. Der war, seinen morgendlichen Spaziergang betreffend, sowieso noch mal dran. Wenzel sollte erneut mit dem alten Zychner reden. Zu dem wollte eh keiner von den anderen gehen – schlechte Erinnerungen. Und diese Claire Wilms musste ihnen erklären, wo sie die Nacht verbracht hatte.
»Da will ich nicht dabei sein«, sagte Lydia Naber.
»Bei der Vernehmung von der Wilms?«, fragte Schielin überrascht nach.
»Mhm. Sie ist mir zu sympathisch und ich kann nicht so ungezwungen bösartig mit ihr umspringen. Außerdem wäre ich enttäuscht.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Na ja, wenn sie in der Sache wirklich drinhinge.«
»Traust du es ihr denn zu?«
Lydia Naber verzog den Mund. »Heute Nacht in meinem Traum – da hat sie es getan. Und aus welchem Grund sollte sie uns in einer so wichtigen Angelegenheit belügen. Ich habe kein sonderlich gutes Gefühl.«
Auch Wenzel hatte kaum Schlaf gefunden. Der Verschlag, in den er seine Erinnerungen um Zychner gepfercht hatte, stand sperrangelweit offen. Um drei Uhr am Morgen hatte er leise das Bett verlassen und saß eine gute Stunde später auf einem Klapphocker unter dem leuchtenden Sternenzelt hinter dem alten Clubhaus im Segelhafen. Seine Sinne waren hellwach und er wartete, ohne zu wissen auf wen oder was. Körper und Geist konnte der mangelnde Schlaf im Moment nichts anhaben. Es ging ihm gut, so einsam und allein.
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