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Inselwaechter

Inselwaechter

Titel: Inselwaechter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob M. Soedher
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rumzuerzählen weiß.«
    Albin Derdes wurde hektisch. »Aber du, gell, kein Ton von mir, gell. Weil mit der Mutter von dem, mei, ich sage dir … da bin ich nicht ganz so speziell.«
    Schielin tätschelte Ronsard, der seinen Schädel aufdringlich über den Weidezaun schob und neugierig herumschnupperte. Vor der Dunkelheit musste er keine Sorge haben. Es waren die längsten Tage im Jahr. Zu spät wollte er jedoch nicht von seiner Eseltour zurückkommen. Morgen wartete wieder ein anstrengender Tag und er brauchte Schlaf, dringend. Sein linkes Augenlid hatte schon den Tag über nervös gezuckt, und er kannte seinen Körper inzwischen gut genug, um zu wissen, dass er übermüdet war. Als Nächstes würde das rechte Ohr anfangen Meldungen abzugeben.
    Nicht dass er Stimmen hörte. Nein. Es begann mit einem trockenen, rhythmischen Knarren. Sozusagen der letzte Aufruf seines Körpers, für Entspannung und Ruhe zu sorgen. Würde das nicht erfolgen, ging das dumpfe Knarren binnen weniger Tage in einen hohen Pfeifton über – der Teufelskreis wäre perfekt. Um dieses Pfeifen und Singen wieder loszuwerden, wären Ruhe und Schlaf erforderlich, doch wie sollte man entspannen oder gar schlafen, wenn einen dieses feine Geräusch die letzten Nerven raubte. Er wollte gar nicht daran denken und stieg den Pfad nach links hinunter in den Motzacher Tobel. Seine Schritte bekamen jenes wechselhafte Gleichmaß, das für eine innere Ausgeglichenheit erforderlich war. Es war wie mit dem Herzen: ein metronomenhafter Takt war Ausdruck von Anspannung, Belastung und Unruhe. Die Seele aber baumelte nur in den sanft wechselnden Tempi des Herzens.
    Schielin wurde durch ein Geräusch aus seinen Gedanken gerissen und stoppte. Ronsard schien schon eine Stufe weiter auf der Entspannungsleiter geklettert zu sein. Er lenkte seinen Kopf zwar an Schielins Schulter vorbei, mit lautem Schnauben. Die Schulter schob seinen Herrn jedoch ein Stück weiter. Ungehalten zischte der dem Esel ins Ohr. »Psst. Still.« Er ging ein Stück weiter und drehte den Kopf, horchte in das dichte, frische Grün. Ganz von fern waren Motorengeräusche zu hören. Autos, die den Schönbühl hochfuhren. Es war gleichmäßig und klang vertraut und heimelig, wie es so aus der Ferne warm surrend ans Ohr gelangte. Dieses Gebrumm war es jedoch nicht, was Schielin hatte stoppen lassen. In einem ersten Schreck hatte er gedacht, sein Ohr würde das Gehörte selbst produzieren – ein schrilles Klirren, wie aus der Ferne. Jetzt konnte er die Quelle lokalisieren. Es kam von unten und wurde lauter, kam in seine Richtung. Ein Geräusch, nerviger als Tinnitus und Motorenklang: Nordic Walker – unterwegs im deutschen Wald. In wenigen Jahrzehnten, wenn die wissenschaftlichen Methoden es möglich machten, würde man feststellen, dass das Buchen- und Eichensterben auf die hochfrequenten Klangmuster dieser Gehhilfen zurückzuführen wäre. Auf jene Stöcke, die gesunde Menschen beim Gehen in die Hände nahmen, um sie laut kratzend und scheppernd über den Boden schlurfen zu lassen. Keine Grasmücke, kein Stieglitz, Buchfink oder Grauspötter hatte mit seinem Abendlied eine Chance gegen ein Gruppe sportlicher Naturliebhaber. Ein Falkenschrei schaffte es noch bis an Schielins Ohr. Was tun? Von weiter hinten war eine weitere Lärmquelle zu vernehmen – zwei Gruppen also. Vorne die schnellen, hinten die langsamen – beide gleichlärmend. Er entschied sich für Rückzug. Ronsard streckte ebenfalls die Ohren nach vorne – lauschte, horchte, und drehte die Ohren dabei mit einer solchen Fertigkeit und Anmut, die allen seinen anderen motorischen Vorgängen abhold war. Ohne Muckser folgte er Schielin und drehte auf dem engen Pfad. Wieder an der Straße angelangt, ging es weiter in Richtung Weißensberg. Ein paar Autos fuhren vorbei, dazu Radler, Roller, Mopeds. Kein Problem, wunderbarer Sound.
    In Weißensberg querten sie ein weites Stück Wiese, zum Einstieg in den Bösenreutiner Tobel hin. Ein ganzes Stück von einem jungen, aufgeregten Hofhund verfolgt, der sich an den Anblick und Geruch schon noch gewöhnen würde. Mit der weiten Streuobstwiese ließen sie auch das matte Licht des Sommerabends hinter sich, und den Geruch frischen Grases. Es wurde duster unter dem Blätterdach und steil führte der Weg hinunter. Die Stufen kannte Ronsard und zierte sich nicht mehr. Wie ein Schleier legte sich die Einsamkeit des Tobels auf sie. Nun war nur noch das Schlagen der eigenen Schritte zu hören, der eigene Atem,

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