Inside Aldi & Co.
deshalb auch Aldi stutzig geworden. Unter vielen Tränen erzählt sie mir ihre Geschichte, später stoßen noch Conda und Davidovic hinzu, die an diesem Tag Frühschicht hatten und ebenfalls berichten. Ich gebe ein paar Ratschläge und ermuntere die drei, durchzuhalten.
Am frühen Nachmittag kommen Frau Milenovskas Kinder von der Schule heim. Sie kümmert sich rührend um sie, ist wahnsinnig stolz. Die beiden gehen aufs Gymnasium, die Tochter, das ist die Große, soll einmal Rechtsanwältin werden. «Sie sollen es später besser haben», sagt die Mutter und weint wieder.
Mitte September 2011
Bei den Wahlen konkurrieren zwei Listen: die ungeliebten Kassierer auf der einen und ihre Vorgesetzten auf der anderen Seite. Die Filialleiter konnten im Vorfeld Werbung machen, die Kassierer durften ihren Arbeitsplatz nicht verlassen. Es kommt zur Wahl. Die Bereichsleiterin soll laut Davidovic per Videoüberwachungsanlage aus dem Büro dabei gewesen sein, was Aldi jedoch bestreitet.
Vier Tage später
Aldi hat jetzt einen Betriebsrat, bestehend aus eigenen Filialleitern. Genau am Tag der Verkündung wird Frau Milenovska zu einem weiteren Gespräch mit der Bereichsleiterin und dem Filialleiter zitiert. Ihr Anwalt schreibt darüber: «In diesem Gespräch wurde ihr vorgeworfen, sie sei ein Störfaktor, die Situation sei unerträglich, sie schade dem Unternehmen. Darüber hinaus wurden ihr Abmahnungen übergeben, weil sie angeblich Gerüchte verbreitet haben soll. Sie wurde als Lügnerin und Psychopathin beschimpft und werde das Sorgerecht für ihre Kinder verlieren. In Folge dieses Gesprächs erlitt meine Mandantin erneut einen Nervenzusammenbruch.»
Wenig später
Der Fachanwalt für Arbeitsrecht legt Widerspruch gegen die Betriebsratswahl ein. Die Anfechtung soll im Januar stattfinden.
Die 400 -Euro-Kraft, die für die andere Liste stimmte, wird derweil gefeuert. Ein Mitarbeiter, der sich enthielt, wird gemobbt. Als er Rückenprobleme hat, sagt die Chefin angeblich: «Machen Sie Sport oder schlucken Sie Tabletten, aber wenn Sie krank werden, fliegen Sie raus.»
Kurze Zeit darauf ist dies der Fall.
Herbst 2011
Die Filialleiter, die sich für den Betriebsrat haben aufstellen lassen, erhalten höher dotierte Verträge.
Davidovic informiert den «Marionetten-Betriebsrat» über einen Unfall seines Kollegen. Der Betriebsrat fragt zurück, was er machen soll. Er blamiert sich. Die Bereichsleiterin untersagt Anfragen beim Betriebsrat ohne Termin. Wenig später lässt sich Davidovic einen Termin geben. Der Betriebsrat ist gespannt, worum es diesmal geht. Der Kassierer erklärt ihm, er brauche vier neue Hemden.
Das Mobbing seitens Aldi geht weiter: Das schwächste Glied des Trios, die alleinerziehende Snezana Milenovska, wird verstärkt ins Visier genommen. Aldi «vergisst», ihr die Prämie für das zehnjährige Betriebsjubiläum zu zahlen. Als Einzige wird sie nicht zur Weihnachtsfeier eingeladen. Das bringt für die Verkäuferin das Fass zum Überlaufen. Ich erinnere mich, wie sie sich am Telefon, als sie mir davon berichtete, kaum mehr beruhigen konnte. Sie fühlte sich entwürdigt. Die Kräfte schwanden.
Januar 2012
Mit Aldi werden im Hintergrund Beendigungslösungen ausgehandelt. Ich treffe die drei vor der Kanzlei ihres Anwalts, rate ihnen, das Angebot von Aldi anzunehmen. Sie haben keine Kraft mehr. Alle drei werden unter Fortzahlung ihrer Bezüge freigestellt und erhalten hohe Abfindungen.
Ende April 2012
Die
Süddeutsche Zeitung
berichtet über den Fall, er schlägt bundesweit Wellen.
Anfang Mai 2012
Die drei Fast-Betriebsräte und ihr Anwalt sind zusammen mit Aldi-Nord-Veteran Manfred Birkhan zu Gast bei
Stern
TV
. Es gehen über 1000 E-Mails von weiteren Mobbing-Opfern und Aldi-Geschädigten bei
Stern
TV
ein.
Eine Woche später folgt eine weitere Sendung zum Thema.
Ende Mai 2012
Snezana Milenovska erstattet Strafanzeige gegen ihre frühere Vorgesetzte, die Bereichsleiterin, wegen «Bedrohung, Nötigung, Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung».
Juni 2012
Die zuständige Bereichsleiterin verlässt Aldi.
November 2012
Der zuständige Verkaufsleiter und Prokurist verlässt Aldi.
Dezember 2012
Das Ermittlungsverfahren gegen die nunmehr Ex-Bereichsleiterin wird eingestellt. Snezana Milenovska ist enttäuscht, aber nicht mehr wütend. Die Wunden sind verheilt, es bleiben aber Narben zurück.
Ende Januar 2013
Das Wiedersehen. In Frankfurt regnet und hagelt es, die Stadt ist noch kälter als
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