Inside Aldi & Co.
sonst. Wir treffen uns an einem Sonntag auf der Zeil. Nenad Davidovic hat abgesagt, wegen familiärer Verpflichtungen. Er arbeitet jetzt in Vollzeit bei Rewe. Er gebietet dort, dem Vernehmen nach zu seiner Zufriedenheit, über die Obst- und Gemüseabteilung, nur fünf Minuten von seiner ehemaligen Aldi-Filiale entfernt. Snezana Milenovska begrüßt mich schon von weitem überschwänglich, Aleksandar Conda hält sich wie immer vornehm im Hintergrund. Milenovska ist aufgeregt und erzählt von ihrem neuen Job in der Frühsortierung beim Paketdienst UPS , wo auch Conda vorübergehend untergekommen ist. Dort werden die Arbeitszeiten genau erfasst, es herrscht gute Stimmung und die beiden verdienen 15 Euro die Stunde. Nebenbei arbeitet Milenovska in einer Bäckerei. Sie verdiene jetzt viel mehr und könne besser planen, weil sich ihre Arbeitszeiten nicht permanent ändern. Conda hat eine Vollzeitstelle bei einem Getränkemarkt in Aussicht.
Nicht zum ersten Mal geriet Aldi wegen seines Verhältnisses zu Betriebsräten unter Beschuss. Im Frühjahr 2010 wurde öffentlich, dass Aldi Nord über eine Essener Anwaltskanzlei verdeckte Zahlungen an die AUB , eine arbeitgeberfreundliche Betriebsräteorganisation, geleistet hatte, um ein Gegengewicht zu Ver.di zu schaffen. Bis zum Jahr 2006 hatte der Discounter insgesamt 350 000 Euro, unter anderem für die Schulung von Betriebsräten, gezahlt. Bei Aldi Süd versuchten 2010 drei Kassiererinnen in München einen Betriebsrat zu gründen. Obwohl sie von Ver.di unterstützt wurden, scheiterten sie. Aldi-Manager hatten dem übrigen Personal, so die
Süddeutsche Zeitung
, mit der Streichung von Weihnachts- und Urlaubsgeld gedroht, die Mitarbeiter verstärkt beobachtet und waren bei der Versammlung zur Bildung eines Wahlvorstands anwesend.
Ob Aldi seine mitbestimmungsfeindliche Politik noch lange durchhalten kann, darf bezweifelt werden. Gewerkschaftern ist die betriebsratsfreie Zone bei Aldi Süd schon lange ein Dorn im Auge, und sie verspüren derzeit Aufwind. Aber letztlich sind es mutige Mitarbeiter selbst, die die Initiative ergreifen müssen.
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«Und da gab es Ratten»
Mobbing bei Aldi Süd
«Ich habe niemanden. Ich brauche jemanden … Ich mache das nicht, um Aufmerksamkeit zu erregen … Ich mache das, um eine Inspiration zu sein … Jeder hat eine Geschichte, und jeder wird irgendwann eine glückliche Zukunft haben», erklärte Amanda Todd in einer stumm vorgetragenen Videobotschaft im Herbst 2012 . Das 15 -jährige Mädchen erlangte wenig später als Opfer von Cybermobbing traurige Berühmtheit, weil sie den Freitod als letzten Ausweg für sich sah. Sie hatte die Hänseleien ihrer Mitschüler, nachdem ein Nacktfoto im Internet kursierte, nicht mehr ausgehalten. Der neunminütige Hilferuf auf YouTube sorgte weltweit für Aufsehen. Das Beispiel zeigt, welche dramatischen Folgen Mobbing haben kann.
Heinz Leymann definierte das Phänomen 1993 als «negative kommunikative Handlungen (von einer Person oder mehreren Personen), die gegen eine Person (oder mehrere Personen) gerichtet sind und die sehr oft und über einen längeren Zeitraum hinaus vorkommen und damit die Beziehung zwischen Täter und Opfer bestimmen».
Konkret bedeutet das im Arbeitsleben oft: anspruchslosere oder sinnlose Aufgaben, soziale Isolation, ständige (ungerechtfertigte) Kritik an der Arbeit und die Verbreitung von falschen Tatsachen. Die Betroffenen werden gezielt seelisch verletzt und gequält.
Mobbing ist bei Aldi verbreitet. Wer gehen soll, wird oft schikaniert. Manager des Discounters versuchen so, geltendes Arbeitsrecht zu beugen und den Mitarbeiter von selbst zum Gehen zu bewegen oder aber einen für das Unternehmen kostengünstigeren Aufhebungsvertrag abzuschließen. Ungünstigere Arbeitszeiten, Versetzungen, konstruierte Kritikpunkte und inflationäre Abmahnungen, um nur einige Punkte zu nennen, sind gängig. Ich könnte zahllose Fälle und Beispiele aufschreiben, sie würden sich im Grunde alle ähneln (siehe auch mein Buch «Aldi. Einfach billig»). Fast in allen Trennungsprozessen, die ich seither verfolge und selbst erlebt habe, spielen solche Methoden im Vorfeld eine Rolle. Der Mitarbeiter soll mürbe gemacht und weichgekocht werden. Die Kreativität der Billig-Manager, die ansonsten gern nach «Schema F» arbeiten, kennt da manchmal keine Grenzen.
Franziska B., zum Beispiel, wurde mit erfundenen Vorhaltungen und üblen Gerüchten terrorisiert. Nach zwei
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