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Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)

Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)

Titel: Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Parmy Olson
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Menschen auf die Erde brachte, sie dann um verschiedene Vulkane herum aussetzte und mit Wasserstoffbomben umbrachte. Jetzt drängten sich Hunderte Nutzer in #xenu und dann in #target, wo selbst ernannte Planer weiterer Angriffe ihre Ziele vorschlagen konnten. Im #xenu-Chatroom redeten alle durcheinander darüber, was als Nächstes zu tun sei.
    »HEY, /B/«, schrieb um 21.45 Uhr jemand auf 4chan. Der Anon behauptete, er habe »einen Haufen« verwundbarer Stellen für XSS auf Scientology.org gefunden. XSS steht für Cross-Site Scripting und war angeblich die zweithäufigste Hackermethode nach der SQL-Injection. »ICH SEHE MAL ZU, WAS SICH DARAUS MACHEN LÄSST.« Die Adresse des IRC-Kanals wurde mit Spam überschüttet. Es sah so aus, als komme der Thread langsam an sein Ende, und einige Nutzer posteten, was ihnen das wichtigste Ergebnis der Chatroom-Diskussionen schien: Man solle sich das Datum 20. Januar merken. »Es wird was passieren.«
    Der Thread hatte in ungefähr drei Stunden fünfhundertvierzehn Beiträge gesammelt. Die Stimmung war aufgeheizt; im drittletzten Post wurde vermutet, dass sich etwa zweihundert Nutzer an der Diskussion beteiligt hatten. Die Scientology-Zentren weltweit bekamen inzwischen bereits erste Telefonstreiche, schwarze Faxe (um die Tintenpatronen der Faxgeräte zu leeren), unbestellte Pizzalieferungen und nicht angeforderte Taxis zu spüren. Die Hauptwebseite brauchte ziemlich lange, um sich aufzubauen.
    Am nächsten Tag, dem 16. Januar, richtete jemand, der den Spitznamen Weatherman benutzte, eine Seite in der Encyclopedia Dramatica ein, deren Wahlspruch bezeichnenderweise »In lulz we trust« lautete. Diese Seite enthielt eine Kriegserklärung an die Scientology-Sekte. Um 17.47 Uhr Ostküstenzeit meldete sich dann die Erstposterin, die den Chan-Raid gegen Scientology vorgeschlagen hatte, gratulierte den begeisterten Mitkämpfern auf /b/ und stimmte sie auf dramatischere Aktionen ein. »Seit dem 15.01.08 tobt der Krieg. Die Scientology-Webseite liegt bereits im Bombenhagel«, schrieb die OP. »Das ist nur die Spitze des Eisbergs, der erste von vielen Angriffen. Aber ohne die Unterstützung der Chans wird Scientology diese Attacke einfach abschütteln. 4chan, zu den Waffen! Wir müssen diese üble Sekte zerstören und sie durch eine noch üblere ersetzen – Chanology!«
    Die Portmanteau-Bildung aus »Chan« und »Scientology« bezeichnete eine Wende im Verhältnis der verschiedenen Imageboard-Foren zueinander. Ihre jeweiligen Schlachten gegen Pädophile, MySpace-User und natürlich gegeneinander wurden durch den gemeinsamen Kampf aller zusammen gegen eine größere Organisation abgelöst. Scientology war eigentlich eine seltsame Zielauswahl – bis jetzt hatten die meisten User der Chans diese Gruppe vermutlich nur als durchgeknallte Sekte mit einigen prominenten Anhängern gekannt. Plötzlich war sie das größte Ziel, an das sich Anonymous je herangewagt hatte (2008 hatte die Sekte in den USA landesweit etwa 25.000 Mitglieder) und für dessen Bekämpfung die Gruppe bis jetzt die meisten Mitstreiter hatte gewinnen können. Niemand, auch nicht die Erstposterin, wusste, wie es ausgehen würde und ob es sich um eine einmalige Aktion oder um einen Schritt nach vorne aus der kreativen Anarchie des Internets heraus handelte.
    Aber warum ausgerechnet Scientology? Der bizarre Auftritt eines Filmstars und die ungewöhnlichen Glaubenslehren der Sekte hätten dem durchschnittlichen Nutzer der Imageboard-Foren und von eBaum’s World, der immer auf der Suche nach dem Seltsamen, Neuen und Aufregenden war, sogar eher gefallen müssen. Aber dann hatte Scientology versucht, das Tom-Cruise-Video zu unterdrücken, und das hatte eine Reaktion im Stil einer Bürgerwehr herausgefordert. Dazu kam noch die fast neurotische Reizbarkeit der Sekte. Es war bekannt, dass sie sowohl im realen Leben wie auch im Internet ihre Kritiker einzuschüchtern versuchte. Dadurch wurde sie zum perfekten »troll bait«, zum verdienten Opfer für 4chan und Konsorten und die immer besser organisierten Anons auf Partyvan. Die vorhergehenden Konflikte der Scientologen mit ihren Gegnern im Internet waren in den Medien bereits so ausführlich geschildert worden, dass die kanadische Zeitung Globe and Mail den Versuch der Sekte, das Tom-Cruise-Video auf YouTube zu löschen, als »Scientology gegen das Internet, Folge 17« bezeichnete. Der Kampf der Sekte gegen ihre Kritiker im Internet dauerte bereits fünfzehn Jahre an und hatte 1994

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