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Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)

Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)

Titel: Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Parmy Olson
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die Beteiligten einige Stunden lang urheberrechtsfreie Filmausschnitte und Musik zusammen und schrieben einen Begleittext dazu, der von einer Automatenstimme vorgelesen werden sollte. Weil die Spracherkennungssoftware so schlecht war, musste der Text in einer Art Lautschrift umgeschrieben werden – aus »destroyed« (»zerstört«) wurde etwa »dee stroid« –, damit er in der gesprochenen Fassung verständlich wurde. Das Manuskript sah dadurch wie Buchstabensalat aus, klang aber wie gewöhnliches Englisch.
    In der Endfassung intonierte dann eine Maschinenstimme, die sich wie Stephen Hawkings’ Sprachcomputer anhörte, zum Bild eines düsteren Wolkenhimmels: »Hallo, Scientology-Führung, wir sind Anonymous.« Der Text erlegte sich keine Zurückhaltung auf: Die Autoren versprachen, »die Scientology-Sekte in ihrer gegenwärtigen Form systematisch zu demontieren ... Zum Wohl ihrer Mitglieder, zum Wohl der Menschheit – und aus Schadenfreude – werden wir sie aus dem Internet verjagen.« Housh und die anderen selbst ernannten PR-Leute nahmen es natürlich nicht ernst. Doch während sie noch an der Endfassung des Videos arbeiteten und dabei ihre Späße über diesen »Krieg« machten, der einer der lustigsten Internetstreiche aller Zeiten werden, aber höchstens ein paar Tage dauern konnte, wurde einer von ihnen, ein französischer Doktorand, plötzlich ernst.
    »Leute, was wir hier tun, wird die Welt verändern«, meinte er. Die anderen Gruppenmitglieder waren nach einem Moment der Verwunderung deutlich amüsiert, wie sich Housh erinnert. »Gtfo«, schrieb einer. »Lass das dumme Geschwätz.« Aber der französische Anon ließ sich nicht beirren. Das Video, an dem sie gerade arbeiteten, würden Zehntausende Menschen sehen. Hier begann etwas Großes, »und wir wissen noch gar nicht, was daraus wird«. Housh und die anderen zuckten mit den Schultern und machten, so Housh, einfach weiter. Sie nannten das Video Message to Scientology (»Botschaft an Scientology«), stellten es am 21. Januar auf YouTube ein und verlinkten es über die Chans und auf Digg. Weil die meisten von ihnen die Nacht durchgearbeitet hatten, fielen sie danach erst einmal ins Bett.
    Am nächsten Morgen rüttelte Houshs damalige Freundin ihn wach. »Geh an deinen Rechner. Da passiert gerade was.« Housh kroch aus dem Bett, tastete nach der Brille und starrte auf den Schirm. Das Partyvan-IRC-Netzwerk brach gerade zusammen, weil Tausende Neulinge sich alle in #xenu einloggen wollten. »Wir hatten uns quasi selbst ge-DDoSt«, erinnerte er sich später in einem Interview. Das Video war von Gawker und einer anderen ähnlichen Seite namens The Register übernommen worden, und Tausende Nutzer hatten es aufgerufen. Danach wollten etwa 10.000 von ihnen gleichzeitig in #xenu hinein, und die Administratoren von Partyvan warfen sie alle hinaus, um die Seite vor dem Zusammenbruch zu retten. Housh und die anderen versuchten, sie auf ein anderes IRC-Netzwerk umzuleiten, das daraufhin überlastet aufgab. Zum Glück meldeten sich dann die Partyvan-Administratoren mit der guten Nachricht, dass sie fünf weitere Server zugeschaltet hatten und die Horde jetzt zurückkommen dürfe. Die Verständigung unter den Anonymous-Mitgliedern lief nun hauptsächlich über Partyvan.
    Housh und die anderen traf es wie ein Wirbelwind. Als sie aufwachten und sahen, dass Tausende Menschen sich beteiligen wollten, wurde ihnen bewusst, dass sie im Blickpunkt der Aufmerksamkeit standen und nicht mehr nur einfach einen dummen Streich abliefern konnten.
    In den nächsten achtundvierzig Stunden fanden sich weitere Nutzer im #press-Chatroom ein, die sich zum Mitplanen berufen fühlten. Als die PR-Gruppe, deren Mitglieder sich vor ein paar Tagen noch gar nicht gekannt hatten, bemerkte, dass ihr Chatroom sich in eine Organisationszentrale verwandelte, änderte sie einfach die Adresse in #marblecake. Durch diese Zufallsbezeichnung würden Uneingeweihte ihn kaum noch finden, und die Organisatoren konnten sich auf die Planung konzentrieren. In den nächsten Tagen wurden sie sich trotzdem nicht einig, wie sie die herbeiströmenden Massen beschäftigen sollten.
    »Wir wussten ja gar nicht, was wir taten«, erzählt Housh. Sollten sie noch mehr DDoS-Angriffe gegen Scientology starten? Irgendwelche anderen Streiche anstiften? Sie entschlossen sich, als Erstes #xenu vor dem Zusammenbruch zu retten. Die IRC-Administratoren wurden gebeten, die Teilnehmerzahl auf hundert zu begrenzen; wer sich darüber

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