Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)
»benebelt« vor Aufregung.
Gleichzeitig erschienen die ersten Kopien auf YouTube und wurden vom Betreiber umgehend wieder entfernt, formell aus Urheberrechtsgründen. Die Scientology-Sekte war berüchtigt für ihre Prozesssucht, und der Google-Konzern als Eigentümer von YouTube hatte erst im Jahr zuvor 1 Milliarde Dollar Schadensersatz an Viacom zahlen müssen, ebenfalls wegen einer Copyrightfrage. Man wollte kein Risiko eingehen.
Gawker ließ sich dagegen nicht abschrecken. Am 15. Januar veröffentlichte der Gründer und Herausgeber Denton das Video in einem Blogpost namens »Das Cruise-Indoktrinationsvideo, das Scientology unterdrücken wollte«. Im Begleittext schrieb er: »Gawker stellt dieses Video der Öffentlichkeit zur Verfügung, weil es Nachrichtenwert hat, und wird es nicht wieder entfernen.« Das Video verbreitete sich viral wie ein Lauffeuer. Bis jetzt ist Dentons Blogpost über 3,2 Millionen Mal aufgerufen worden, während eines der auf YouTube hochgeladenen Exemplare, das tatsächlich überlebt hat, inzwischen mehr als 7,5 Millionen Klicks bekommen hat.
Dank 4chan und /b/ wurde die Sache für Scientology aber schnell noch peinlicher.
Noch am selben Tag, um 19.37 Uhr Ostküstenzeit, legte eine angeblich weibliche /b/-Nutzerin, die Gawkers Blogeintrag gesehen hatte, einen Diskussionsthread an. Der Titel lautete einfach »Scientology-Raid?« Weil 4chan ein sogenanntes Imageboard war, ein Forum zur Verbreitung von Bildmaterial, musste auch auf /b/ jeder Erstposter ein Bild hochladen. Die Userin nahm einfach das weiß-goldene Scientology-Logo und hängte einen Text voller Klischeephrasen daran, der die /b/-Gemeinde aufscheuchen sollte:
Ich glaube, es ist Zeit, dass /b/ etwas Großes bewerkstelligt. Die Leute müssen sehen, dass mit /b/ nicht zu spaßen ist ...
Was ich meine, ist ein Angriff auf die offizielle Scientology-Webseite.
Es wird Zeit, dass wir unsere Ressourcen für eine gerechte Sache einsetzen.
Es ist Zeit für ein neues großes Ding, /b/.
Sprecht euch ab, findet einen besseren Ort für die Planung, und dann zieht durch, was möglich ist und getan werden muss.
Es ist Zeit, /b/.
Die Kommentare waren skeptisch bis ablehnend. »Viel Spaß beim Scheitern«, lautete der allererste. »Ein beliebiges Imageboard kann es nicht mit einer Pseudoreligion aufnehmen, hinter der viel Geld und eine ganze Armee von Anwälten stehen«, schrieb ein anderer. »Selbst wenn jeder, der auch nur einmal auf /b/ vorbeigeschaut hat, sich an einer Masseninvasion beteiligte, hätte das keinen spürbaren Effekt – und die Betreffenden hätten 500 Anwälte am Hals, bevor sie auch nur ›Schadenersatz‹ sagen können.« »4chan gegen Scientology = M-M-MONSTRÖSES SCHEITERN.« »Geht’s als Nächstes gegen die Mormonen? Dann gegen die Christen?«, fragte ein weiterer Nutzer sarkastisch. »Und danach, wenn wir wirklich mutig sind, nehmen wir uns den Islam vor?«
Einige wenige /b/-Nutzer mit Scientology-Hintergrund verteidigten ihre Sekte: »Als Glaubenssystem ist Scientology nichts grundlegend Falsches oder Schädliches«, schrieb einer. Mit fortschreitender Diskussion wurden die ursprünglichen kritischen Kommentare allerdings von denen der Unterstützer übertönt. Es war, als ob /b/ sich als Ganzes immer mehr zu einem Angriff auf Scientology entschließe, je länger es darüber ›nachdachte‹. »Ihr versteht es einfach nicht, oder?«, hieß es in einem Post. »Wir sind der Anti-Held, wir tun Gutes, wir scheißen auf alle, Gute wie Böse, die uns im Weg stehen.« »Das ist der erste Schritt zu einem großen Ding, zu etwas von epischen Ausmaßen«, stimmte ein anderer zu. »Wir können das hinkriegen«, meinte ein weiterer. »Wir sind Anon, und wir sind die Superhelden des Interwebs.«
Und auf einmal schlug die Stimmung zugunsten einer Attacke mit voller Kraft um. Die ursprüngliche Skepsis und der Einwand, /b/ sei schließlich nicht die Privatarmee des Erstposters, waren in der plötzlich enthusiastischen Masse vergessen: »Wir sind Tausende; die können uns nicht alle verklagen!« »Ich sage, hört auf, euch in die Hosen zu machen, und tut endlich etwas, das ein bisschen Größe hat, auch wenn es nur darum geht, einen Haufen Scharlatane zu ärgern.« »Zukünftige Generationen von /b/tards werden zurückschauen und sagen, das war der Tag, an dem wir die beschissenen verrückten Scientologen erledigt haben.« »Auf geht’s, /b/.« »Ich habe drei Rechner hier. Was soll ich tun?«, fragte jemand. »Meine
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