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Inside Occupy

Inside Occupy

Titel: Inside Occupy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Graeber
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oder Konzernen wie Vodafone wegnehmen wollt, dann halten wir eben unseren Unterricht in deren Lobbys ab und versorgen unsere Kranken dort.«
    Die größte und dramatischste Aktion von UK Uncut hatte jedoch erst wenige Wochen zuvor stattgefunden: Am 26. März 2011, im Gefolge einer Arbeiterdemonstration gegen die Kürzungen mit einer halben Million Teilnehmern in London, hatten etwa 250 Aktivisten das ultranoble Kaufhaus Fortnum & Mason besetzt. Fortnum & Mason ist ein Laden, der in der Hauptsache für die teuersten Tees und Kekse der Welt berühmt ist. Das Geschäft dort boomte trotz Rezession; weshalb es auch schwer zu verstehen ist, wieso man dem Fiskus 40 Millionen Pfund schuldig blieb.
    Ich selbst arbeitete mit Art Against Cuts, einer größtenteils aus Künstlerinnen bestehenden Gruppe, deren wesentlicher Beitrag an dem Tag darin bestand, die studentischen Aktivisten in schwarzen Kapuzen, Sturmkappen und Halstüchern mit einigen Hundert Farbbomben zu versorgen. Ich hatte nie eine richtige Farbbombe gesehen und war, als einige meiner Freunde ihre Rücksäcke öffneten, ziemlich verwundert, wie klein sie waren. Im Prinzip erwiesen sich diese »Farbbomben« als kleine eierförmige Wasserballons, wenn auch etwas größer als Hühnereier, zur Hälfte mit Wasser, zur anderen Hälfte mit wasserlöslichen Farben gefüllt. Das Schöne an ihnen: Sie ließen sich wie Baseballs auf jedes nur erdenkliche Zielwerfen – ein anstößiges Schaufenster, einen vorbeifahrenden Rolls oder Lamborghini, einen Bereitschaftsbullen – und sorgten augenblicklich für einen dramatischen Eindruck, wenn die Primärfarben nur so spritzten. Und niemand konnte behaupten, wir liefen auch nur im Entferntesten Gefahr, damit jemandem etwas zu tun.
    Der Plan für den Tag sah vor, dass die Studenten sich um drei Uhr in kleinen Gruppen vom Zug der Arbeiterdemo ausklinken, über Londons Haupteinkaufsgebiet ausschwärmen und Kreuzungen blockieren sollten, um dann die Markisen des noblen Steuervermeiders zu dekorieren. Etwa nach einer Stunde hörten wir von der Besetzung und zogen einzeln los, um zu sehen, ob sich irgendwie aushelfen ließ. Als ich eintraf, riegelten die Bereitschaftspolizisten gerade die Eingänge ab, und die letzten Besetzer, die keine Festnahme riskieren wollten, schickten sich eben an, von der ausladenden Markise des Kaufhauses in die Arme einiger Demonstranten zu springen. Der Schwarze Block fand sich zusammen, und nachdem wir unsere letzten Ballons abgefeuert hatten, ging jeder in Schulterschluss mit dem Nebenmann, um einer vorrückenden Phalanx Bereitschaftspolizei entgegenzutreten, die die Straße zu räumen versuchte, um mit den Massenfestnahmen beginnen zu können. Noch einige Wochen später in New York zierten meine Beine blaue Flecken und Schrammen von den Tritten gegen die Schienbeine, die ich mir bei der Gelegenheit eingefangen hatte (ich erinnere mich noch, wie ich dachte, jetzt weiß ich, wieso die alten Krieger Beinschienen trugen.)
    Wie sich herausstellte, hatte US Uncut nichts annähernd so Dramatisches vor. Das Meeting fand auf der rückwärtigen Veranda eines berühmten vegetarischen Delis an der Lower East Side statt (wo der Kräutertee fast so viel kostet wie bei Fortnum & Mason), und das Grüppchen war in der Tat so bunt und ausgefallen, wie Marisa gesagt hatte.
    »Der Plan«, so erklärte einer der Organisatoren, »sieht vor, in der Lobby einer Filiale der Bank of America ein Seminar abzuhalten. Grund dafür ist, dass man wegen der Haushaltslücken überall in der Stadt Klassenzimmer zumacht und die Bank of America keine Steuern bezahlt, also warum unseren Unterricht nicht in deren Lobby abhalten? Daher kamen wir auf die Idee, uns irgendeinen prominenten Professor zu suchen, egal ob echt oder Schauspieler, der in der Lobby einen Vortrag über die Vermeidung von Körperschaftsteuern halten soll, und Marisa könnte den fürs Internet filmen. Unser wesentliches Problem war bislang, jemanden zu finden, der den Professor spielen würde – vor allem, wo die Aktion für ei nen Samstag geplant ist. Es wäre uns lieber, wenn es wirklich ein Professor wäre. Der eine oder andere von uns hat Kontakte zu Steve Duncombe von der NYU, aber anscheinend hat der Bammel vor einer möglichen Festnahme …«
    Ich hatte Tickets für den Rückflug nach London am Sonntag, also fand ich die Aussicht auf eine Festnahme alles andere als prickelnd, aber irgendwie sah das einfach zu sehr nach Schicksal aus. Nach einem Augenblick des

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