Inside Occupy
weil ihn das endlose Gequassel langweilte. Der Fahrer hielt auf der Stelle an und verlangte, dass er ausstieg. ›Was fällt Ihnen ein? Das ist mein Taxi! Es ist mein gutes Recht, in einer Tour zu reden!‹ So gaben wir eines Morgens, als wir wussten, dass die Polizei unsere Versammlung auflösen würde, auf unserer Facebook-Seite bekannt, wir wollten uns alle um drei Uhr nachmittags auf dem Tahrir-Platz treffen. Wir wussten natürlich, dass wir alle überwacht wurden. Also nahm jeder von uns an dem Tag um neun Uhr morgens ein Taxi und sagte seinem Fahrer: ›Haben Sie schon gehört, heute Nachmittag um drei soll eine große Versammlung auf dem Tahrir-Platz sein.‹ Und tatsächlich wusste binnen Stunden ganz Kairo davon. Es kamen Zehntausende von Leuten, noch bevor die Polizei sich überhaupt sehen ließ.«
Die Unterhaltung verlegte sich auf Fragen der Kontrolle und Überwachung. Die Ägypter wollten wissen, wie es sich damit hierzulande verhielt. Ob wir in Amerika eine Geheimpolizei hätten?
»Na ja, man nennt sie natürlich nicht so«, antwortete jemand. »Aber sicher, ich meine, als Aktivist muss man davon ausgehen, dass alles, was man im Internet sagt, überwacht wird – es sei denn, man verschlüsselt es. Und selbst dann kann man nicht sicher sein. Auch wenn man eine öffentliche Versammlung aufzieht, kann man mit ziemlicher Gewissheit davon ausgehen, dass irgendeiner im Saal ein Undercover-Cop ist.«
»Wahrscheinlich ist jetzt hier einer mit dabei.«
Die Bewegung des 6. April, das wurde rasch klar, war keineswegs eine radikale Gruppierung. Rashed zum Beispiel arbeitete bei einer Bank. Von der Einstellung her waren sie klassische Liberale, die Art von Leuten, die, wären sie in Amerika geboren, wahrscheinlich immer noch hinter Obama stünden. Trotzdem stahlen sie sich aus der Obhut ihrer liberalen Aufpasser, um sich an ein bunt zusammengewürfeltes Häufchen von Anarchisten und Marxisten zu wenden – in denen sie, wie sie betonten, jetzt schon weit eher ihre natürlichen amerikanischen Anhänger sahen. »Als die Tränengas direkt in die Menge schossen, da haben wir uns die Kartuschen angesehen und etwas bemerkt. Auf allen stand ›Made in USA‹. Das galt auch, wie wir später erfuhren, für die Gerätschaften, mit denen man uns nach der Verhaftung folterte. So etwas vergisst man nicht.«
Nach der förmlichen Unterhaltung wollten Ahmed und Rashed den Hudson sehen, der gleich hinter dem Highway lag, sodass sechs, sieben der Furchtloseren unter uns durch den Verkehr auf dem West Side Highwayhuschten. Wir fanden ein Fleckchen an einem verlassenen Pier und kamen auf die internationale Politik zu sprechen, auf Verschwörungstheorien und die Ironie der Geschichte. Ich hatte einen USB-Stick dabei; Rasheed wollte uns einige Videos geben, einige davon aus Ägypten, andere merkwürdigerweise von der serbischen Studentengruppe Otpor. Sie hatte womöglich die entscheidende Rolle bei der Organisation der Massenproteste und verschiedenen Formen gewaltlosen Widerstands beim Sturz von Slobodan Milošević Ende 2000 gespielt. Vor allem diese serbische Grup pierung , so erklärte Rasheed, habe die Bewegung des 6. April inspiriert. Seine Gründer hätten nicht nur mit Otpor-Veteranen korrespondiert, es seien in den ersten Tagen sogar viele zu Seminaren über Techniken gewaltlosen Widerstands nach Belgrad geflogen. Sie hätten sich sogar eine Variante des Otpor-Logos, der geballten Faust, zu eigen gemacht.
»Euch ist aber schon klar«, sagte ich ihm, »dass es ursprünglich die CIA war, die Otpor aufgebaut hat?«
Er zuckte die Achseln. Offensichtlich war ihm der Ursprung der serbischen Gruppe herzlich egal.
»Okay, ich nehme mal an, ihr habt das tausendmal zu hören bekommen, wie solltet ihr nicht. Aber, okay, was ihr wahrscheinlich nicht wisst, ist folgendes: Otpor und all die anderen Farbrevolutionsgruppen, die kamen im Grunde so zustande, dass, na ja, die CIA ursprünglich all den Kram durch uns gelernt hat – dadurch, dass sie uns, also den Leuten vom Global Justice Movement, auf die Finger gesehen hat. Wir haben eine Menge dieser Sachen erst erfunden. Oder wenigstens haben wir sie in der Praxis entwickelt. Wir haben sogar einige von den Leuten hier.« Meine Geste galt vor allem Priya.
»Tatsächlich?«
»Ja, wirklich. Offensichtlich waren für das Imperium kurz nach der Jahrtausendwende, gleich nach den heftigen WTO-Protesten in Seattle, die Globalisierungskritiker die größte Bedrohung am Horizont. Also hat uns
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