Inside WikiLeaks
sexuellen Belästigung abgemildert. Der Anwalt der Frauen veranlasste jedoch, dass der Vergewaltigungsvorwurf im November wieder aufgenommen wurde.
Julian sagte, Kristinn habe nach unserem Krisengespräch im Skulpturengarten berichtet, wie sehr ich probiert hätte, Birgitta zu manipulieren. Die Frage, wer in diesem Fall was zu wem gesagt hatte, wurde in den kommenden Tagen und Wochen zu einer unserer Hauptbeschäftigungen.
Wir hatten intern angefangen, unsere Chats zu protokollieren und untereinander auszutauschen. Das war ein Versuch, gegen Julians ganz spezielles »symmetrisches« Wahrheitsverständnis vorzugehen. Wir wollten einfach, dass es so etwas wie echte Dokumente gab, Belege für das, was im Chat thematisiert wurde. Es hätte auch nichts dagegen gesprochen, wenn Ingi und Kristinn an allen Gesprächen beteiligt gewesen wären, obgleich ich sie nicht zum Kernteam zählte. Ich habe aus meiner Zeit bei WL vor allem gelernt, dass wichtige Fragen immer in der Gruppe ausgetauscht werden müssen und dass bei der Diskussion niemand außen vor gelassen werden darf.
Von dem Chat mit Julian, in dem er meine Suspendierung ausspricht, gab es eine Kopie, die bei Wired veröffentlicht wurde. Ich weiß bis heute nicht, wer sie damals an das englischsprachige Magazin weitergegeben hat. Ich denke aber, es gibt gute Gründe, anderen einen Blick auf diese Protokolle zu ermöglichen. Denn darin ging es nicht um private Dinge, sondern um die Kommunikationskultur von WikiLeaks. Die Chat-Protokolle zeigen, in welchem Zustand das Projekt damals war, in welchem Ton und mit welchen Argumenten hantiert wurde. Ich kann hundertmal behaupten, Julian wäre ein »Diktator« gewesen. Möge sich jeder selbst ein Bild machen, wenn er die Chats liest.
Seit den Vergewaltigungsvorwürfen waren erst wenige Tage vergangen, als an einem Mittwochabend das Gezanke im Chat wieder losging. Julian betonte, er hätte keine Zeit, uns in seine Entscheidungen einzuweihen, denn er hätte »high level discussions with around 20 people a day now«.
Diese anderen Leute, mit denen er sich besprechen musste und die die Arbeit für WL erledigten – ich weiß nicht, wer damit gemeint sein sollte. Julians sogenannte Helfer reisten vielleicht gelegentlich mit ihm herum, kamen mit auf Meetings oder zu Drehs, keine Ahnung. Er war zu dieser Zeit in Schweden. Er hatte dort, soweit ich weiß, Kontakt zu Leuten von der Piratenpartei und zu Journalisten von Aftonbladet, der schwedischen Tageszeitung, für die er anfangen sollte, Kolumnen zu schreiben. Natürlich wäre es wichtig gewesen, mehr echte Helfer bei WL einzubinden und das kleine Kernteam zu entlasten. Keine Frage.
Wir hatten zu diesem Zeitpunkt ziemlichen Ärger mit einem Artikel im Wall Street Journal . Die Journalisten hatten Julian und mich unabhängig voneinander zu den Finanzen von WL befragt: Ich hatte ihnen erklärt, wie transparent und ordentlich unsere Spenden in Deutschland abgerechnet würden. Julian wurde mit dem Gegenteil zitiert, nämlich wie geschickt die WL -Konten explizit so gehandhabt würden, dass sie von außen nicht mehr angegriffen werden könnten. Dem Bericht zufolge stellte er die intransparente Kontoführung als eine clevere Methode dar, zu verhindern, dass uns der Geldhahn zugedreht werden konnte.
Das brachte uns natürlich nur weitere neugierige Journalisten ein, die wissen wollten, wieso wir unsere Finanzen verschleierten. Und vor allem brachte es die Wau Holland Stiftung in Erklärungsnot. Julian sagte daraufhin, er sei falsch zitiert worden und habe das so nie gesagt.
Wir baten ihn im Chat dann erneut, sich etwas zurückzuziehen und nicht mehr mit der Presse zu reden oder Tweets loszuschicken, in denen er behauptete, das sei alles nur eine Schmierenkampagne des Pentagon. Als ihm unsere Fragen zu kritisch wurden, loggte Julian sich einfach aus.
Ich vermute, es hat ihn doch erstaunt, wie konsequent wir ihm auf einmal widersprachen. Und dass auch der Architekt keine Spur von seiner kritischen Linie abwich. Mir war wichtig, auch den anderen Techie zu seiner Meinung zu befragen, aber er wollte sich aus den internen Querelen lieber heraushalten.
Die beiden Techniker und ich waren ratlos. Ich hatte mal wieder drei Stunden vor dem Chat gesessen, und wir waren von einer Lösung weiter entfernt als je zuvor. So ging es jetzt schon wochenlang. Wir wollten Julian zwingen, mit uns zu reden. Wir haben dann zu einem recht harten Mittel gegriffen. Es war ein Versuch. Vielleicht war es
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