Inspector Alan Banks 12 Wenn die Dunkelheit fällt
eine.«
»Die wäre?«
»Wir bringen Lucy zur Vernehmung nach Eastvale. Sie wissen genauso gut wie ich, dass Millgarth ein Affenhaus wird, sobald die Presse rausgefunden hat, dass Lucy da ist. So haben wir die Möglichkeit, dem Chaos aus dem Weg zu gehen, wenigstens eine Zeit lang.«
Julia Ford dachte kurz nach und sagte dann: »Das ist wirklich eine gute Idee.«
»Kommen Sie mit nach Eastvale? Ich habe Angst.«
»Natürlich.« Julia schaute Banks an. »Der Superintendent kann bestimmt ein anständiges Hotel empfehlen.«
»Aber woher konnte die wissen, dass ich zu Ihnen gehe?«, fragte Maggie Dr. Susan Simms zu Beginn der Sitzung am Nachmittag.
»Ich habe keine Ahnung, doch Sie können sich darauf verlassen, dass ich es niemandem verraten habe. Und dieser Frau habe ich schon gar nichts erzählt.«
»Ich weiß«, erwiderte Maggie. »Danke.«
»Nichts zu danken, meine Liebe. Das ist eine Frage der Berufsehre. Was Sie da über Lucy Payne angedeutet haben, stimmt das?«
In Maggie wallte wieder der Zorn auf, als sie sich an ihren Streit mit Banks am Morgen erinnerte. Sie regte sich immer noch darüber auf. »Ich glaube, dass Lucy misshandelt wurde, ja.«
Dr. Simms schwieg eine Weile, schaute aus dem Fenster und sagte: »Seien Sie bitte vorsichtig, Margaret. Seien Sie bitte vorsichtig. Sie scheinen unter enormem Druck zu stehen. Und, wollen wir jetzt anfangen? Ich glaube, beim letzten Mal haben wir über Ihre Familie gesprochen.«
Maggie erinnerte sich. Es war ihre vierte Sitzung und das erste Mal, dass sie Maggies familiären Hintergrund gestreift hatten. Was sie gewundert hatte. Sie hatte direkt am Anfang freudianische Fragen über die Beziehung zu ihrem Vater erwartet, auch wenn Dr. Simms betont hatte, sie sei keine Analytikerin.
Sie saßen in einer Wohnung über dem Park Square, einem friedlichen, eleganten Stück Leeds aus dem achtzehnten Jahrhundert. Zwischen den rosafarbenen und weißen Blüten der Bäume sangen Vögel, im Gras saßen Studenten und lasen oder erfreuten sich einfach der Sonne nach dem gestrigen Regen. Die Feuchtigkeit hatte sich größtenteils verzogen, die Luft war klar und warm. Dr. Simms hatte das Fenster geöffnet, und Maggie konnte die Blumen im Kasten riechen; sie wusste nicht, welche Sorten es waren, Blumen halt, rot, weiß und rosa. Hinter den Bäumen und schicken Fassaden der Häuser auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes konnte sie die oberste Rundung der Rathauskuppel erkennen.
Das Zimmer sah aus wie eine Arztpraxis, dachte Maggie, wie eine altmodische Praxis mit einem massiven Schreibtisch, Diplomen an der Wand, Neonröhren, Aktenschränken und Regalen voll psychologischer Fachzeitschriften und Lehrbücher. Es gab keine Couch; Maggie und Dr. Simms saßen in Sesseln, aber nicht einander gegenüber, sondern in einem Winkel, der einen Blickkontakt erlaubte, ihn aber nicht erzwang, eher kooperativ als konfrontativ. Dr. Simms war Maggie von Ruth empfohlen worden, und bisher hatte sie sich als Glücksgriff erwiesen. Sie war Mitte fünfzig, kräftig gebaut, fast schon matronenhaft, und hatte etwas Strenges an sich. Dr. Simms war immer in altmodischem Laura-Ashley-Stil gekleidet, und ihr blaugraues Haar war mit Haarspray zu betonharten Wellen und Locken fixiert. Im Gegensatz zu ihrem Äußeren besaß Dr. Simms die freundlichste, mitfühlendste Art, die Maggie sich wünschen konnte, ohne dabei nachgiebig zu sein. Nachgiebig war sie ganz gewiss nicht; manchmal wurde sie richtiggehend wütend, besonders wenn Maggie - die sie aus irgendeinem Grund Margaret nannte - Ausflüchte machte oder jammerte.
»Bei uns zu Hause gab es keine Gewalt, als wir klein waren. Sicher, mein Vater war streng, aber er hat nie seine Fäuste oder den Gürtel genommen, damit wir gehorchten. Bei meiner Schwester Fiona nicht, und bei mir auch nicht.«
»Was hat er getan, damit Sie gehorchten?«
»Ach, das übliche. Hausarrest, Taschengeldentzug, Standpauken, solche Sachen halt.«
»Wurde er öfter laut?«
»Nein. Ich hab nie gehört, dass er jemanden angeschrien hat.«
»War Ihre Mutter ein aggressiver Mensch?«
»Du lieber Himmel, nein. Ich meine, sie konnte schon sauer werden und losschreien, wenn Fiona oder ich Blödsinn gemacht haben, wenn wir unsere Zimmer zum Beispiel nicht aufgeräumt haben, aber das war dann auch sofort wieder vorbei und vergessen.«
Dr. Simms stützte das Kinn auf die Faust. »Verstehe.
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