Inspector Alan Banks 12 Wenn die Dunkelheit fällt
Versetzen Sie sich in die Nacht zurück! Versuchen Sie sich zu erinnern!«
Maggie fuhr sich mit der Hand übers Haar. »Hm, ich wusste es eigentlich nicht«, gab sie zu. »Ich bin wohl einfach davon ausgegangen, weil die Stimmen so laut waren und ... nun ja ...«
»Haben Sie die Stimmen erkannt?«
»Nein. Sie waren zu undeutlich.«
»Aber es hätte auch sein können, dass jemand mit einem Einbrecher kämpft, oder? Ich hab gehört, dass es hier in der Gegend ziemlich viele Einbrüche gegeben hat.«
»Stimmt.«
»Was ich sagen will, Maggie, ist, dass es vielleicht noch einen anderen Grund gegeben hat, der Sie zu der Annahme verleitete, es wäre ein Ehestreit.«
Maggie schwieg. Der Moment der Entscheidung war gekommen, und er war viel komplizierter, als sie sich vorgestellt hatte. Zum einen wollte sie nicht, dass ihr Name dick und fett in allen Zeitungen stand. Maggie bezweifelte es zwar stark, aber wenn Bill das in Toronto las, käme er vielleicht auf die Idee, sie selbst in Europa aufzuspüren. Bei einer regionalen Tageszeitung wie der Post war die Wahrscheinlichkeit natürlich nicht besonders groß, dass er ihren Aufenthaltsort erfuhr, aber wenn die nationale Presse darauf ansprang, wäre das schon was anderes. Es war eine Riesenstory, die gute Chancen hatte, es in Kanada zumindest in die National Post und die Globe and Mail zu schaffen.
Andererseits durfte Maggie ihr Ziel nicht aus den Augen verlieren, musste sich auf das konzentrieren, was wichtig war - Lucys missliche Lage. In erster Linie hatte sich Maggie ja auf ein Gespräch mit Lorraine Temple eingelassen, um die Öffentlichkeit zu überzeugen, dass Lucy ein Opfer war. Man konnte es Präventivschlag nennen: Je mehr man Lucy von Anfang an als Opfer wahrnahm, desto weniger neigte man zu der Annahme, sie sei die Verkörperung des Bösen. Bisher war lediglich bekannt, dass die Leiche von Kimberley Myers im Keller der Paynes gefunden und ein Polizist getötet Worden war, allem Anschein nach von Terence Payne. Alle ahnten jedoch, dass dort weitergegraben werden und noch so einiges auftauchen würde. »Vielleicht ja«, sagte Maggie.
»Könnten Sie das näher erklären?«
Maggie trank einen Schluck Kaffee. Er war lauwarm. In Toronto kam immer jemand vorbei und schenkte nach. Hier nicht. »Ich hatte eventuell Grund zur Annahme, dass Lucy Payne von ihrem Ehemann bedroht wurde.«
»Hat sie Ihnen das erzählt?«
»Ja.«
»Dass sie von ihrem Mann misshandelt wird?«
»Ja.«
»Was halten Sie von Terence Payne?«
»Nicht sehr viel.«
»Mögen Sie ihn?«
»Nicht besonders.« Überhaupt nicht, gestand Maggie sich ein. Terence Payne jagte ihr regelrecht Angst ein. Sie wusste nicht, warum, aber wenn er ihr auf der Straße entgegenkam, wechselte sie lieber die Seite, als ihn zu treffen, zu grüßen und sich mit ihm über das Wetter zu unterhalten. Er glotzte sie immer auf seine seltsam leere, leidenschaftslose Art an, als sei sie ein aufgespießter Schmetterling oder ein Frosch, der seziert werden sollte.
Soweit sie wusste, war sie allerdings die einzige, die solche Gefühle hegte. Terence Payne sah gut aus und hatte eine charmante Art, und Lucy zufolge war er in der Schule beliebt, bei den Schülern ebenso wie bei den Kollegen. Dennoch hatte er etwas an sich, das Maggie abstieß, eine Leere, die sie beunruhigte. Bei den meisten Menschen wurden die von Maggie ausgesandten Signale, ihr Kommunikationswerkzeug, von einem Reflektor zurückgeworfen und verursachten ein Piepsen auf ihrem Radarschirm. Bei Terry passierte nichts; Maggies Signale verhallten ungehört in der gewaltigen, endlosen Dunkelheit in ihm. Anders konnte Maggie nicht beschreiben, was sie beim Anblick von Terence Payne empfand.
Sie musste zugeben, dass es möglicherweise reine Einbildung war und genauso gut eine Reaktion auf eine tief in ihr sitzende Angst oder Unzulänglichkeit sein konnte - davon gab es weiß Gott genug. Daher hatte sie beschlossen, Lucy zuliebe Terry so wenig wie möglich zu kritisieren, was ihr allerdings schwer fiel.
»Wie haben Sie reagiert, als Lucy Ihnen das erzählt hat?«
»Ich hab mit ihr geredet und versucht, sie zu überzeugen, dass sie sich professionelle Hilfe suchen soll.«
»Haben Sie schon mal mit misshandelten Frauen zu tun gehabt?«
»Nein, eigentlich nicht. Ich ...«
»Sind Sie selbst misshandelt worden?«
Maggie spürte, wie sie innerlich erstarrte;
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