Inspector Alan Banks 12 Wenn die Dunkelheit fällt
in ihrem Kopf begann sich alles zu drehen. Sie griff zu ihren Zigaretten und bot Lorraine eine an. Die Journalistin lehnte ab. Maggie zündete sich eine an. Noch nie hatte sie, außer ihrer Psychiaterin und Lucy Payne, jemandem von ihrem Leben mit Bill erzählt, von dem Teufelskreis aus Gewalt und Reue, Schlägen und Wiedergutmachung. »Ich bin nicht hier, um über mich zu reden«, sagte sie. »Ich möchte nicht, dass Sie über mich schreiben. Ich bin hier, um über Lucy zu sprechen. Ich weiß nicht, was sich in dem Haus abgespielt hat, aber ich habe das Gefühl, dass auch Lucy sein Opfer gewesen ist.«
Lorraine legte den Notizblock zur Seite und trank die Tasse aus. »Sie kommen aus Kanada, stimmt's?«, fragte sie.
Überrascht bejahte Maggie.
»Woher genau?«
»Aus Toronto. Warum?«
»Ich bin nur neugierig. Ich hab eine Cousine, die da lebt. Das Haus, in dem Sie wohnen, sagen Sie mal, gehört das nicht Ruth Everett, der Illustratorin?«
»Ja, stimmt.«
»Dachte ich mir doch. Ich hab sie mal interviewt. Sie machte einen netten Eindruck.«
»Sie ist eine gute Freundin.«
»Wo"her kennen Sie sich, wenn ich fragen darf?«
»Wir haben uns vor ein paar Jahren auf einem Kongress kennen gelernt.«
»Dann sind Sie also auch Illustratorin?«
»Ja. In erster Linie von Kinderbüchern.«
»Wir könnten doch mal einen Artikel über Sie und Ihre Arbeit machen!«
»Ich bin nicht sehr bekannt. Das sind Illustratoren selten.«
»Egal. Wir sind immer auf der Suche nach Prominenten aus der Gegend.«
Maggie merkte, dass sie errötete. »Na, da bin ich wohl die Falsche.«
»Ich Sprech trotzdem mal mit meinem Redakteur, wenn's ihnen recht ist, ja?«
»Lieber nicht, wenn es Sie nicht stört.«
»Aber ...«
»Bitte nicht! Ja?«
Lorraine hob die Hand. »Schon gut. Das ist zwar das erste Mal, dass sich jemand gegen Gratiswerbung wehrt, aber wenn Sie unbedingt meinen ...« Sie packte Notizblock und Stift in die Tasche. »Ich muss jetzt los«, sagte sie. »Vielen Dank, dass Sie mit mir gesprochen haben.«
Maggie schaute ihr mit einem unguten Gefühl hinterher. Sie sah auf die Uhr. Zeit für einen kleinen Spaziergang um den Teich, bevor sie sich wieder an die Arbeit machte.
»Na, du weißt ja genau, wie man ein Mädchen verwöhnt«, sagte Tracy, als Banks sie am Nachmittag in das McDonald's an der Ecke Briggate und Boar Lane führte.
Banks lachte. »Hab gehört, alle Kinder gehen gern zu McDonald's.«
Tracy knuffte ihn in die Rippen. »Sag bitte nicht mehr Kind zu mir«, mahnte sie. »Ich bin schon zwanzig, vergessen?«
Einen schrecklichen Moment lang fürchtete Banks, ihren Geburtstag vergessen zu haben. Aber nein. Sie hatte im Februar Geburtstag, da hatte es die Soko noch nicht gegeben. Er hatte ihr eine Geburtstagskarte mit Geld geschickt und sie zum Essen in die Brasserie 44 eingeladen. Ein teures Restaurant. »Nicht mal mehr eine Jugendliche«, sagte er.
»Genau.«
Es stimmte, Tracy war jetzt eine junge Frau. Und sie war attraktiv. Banks litt, wenn er sah, wie viel Ähnlichkeit sie mit der zwanzig Jahre alten Sandra hatte - dieselbe gertenschlanke Figur, dieselben dunklen Augenbrauen und hohen Wangenknochen, das Haar zu einem langen blonden Pferdeschwanz gebunden, die losen Strähnen hinter die zierlichen Ohren geschoben. Sie hatte sich sogar ein paar von Sandras Marotten angewöhnt, zum Beispiel bei starker Konzentration auf der Unterlippe zu kauen und Haarsträhnen um die Finger zu wickeln, wenn sie sich unterhielt. Tracy sah aus wie eine Studentin: Jeans, weißes T-Shirt mit dem Logo einer Rockband, Jeansjacke, Rucksack. Sie hatte ein selbstsicheres, anmutiges Auftreten. Eine junge Frau, kein Zweifel.
Banks hatte sie am Vormittag zurückgerufen, und sie hatten vereinbart, sich nach Tracys letzter Vorlesung zu einem späten Mittagessen zu treffen. Außerdem hatte er Christopher Wray mitgeteilt, man habe den Leichnam seiner Tochter noch nicht gefunden.
Sie stellten sich an. Der Laden war gerammelt voll mit Büroangestellten in der Kaffeepause, schwänzenden Schülern und Müttern mit Kinderwagen und Babys, die sich vom Einkaufsstress erholten. »Was willst du haben?«, fragte Banks. »Ich bezahle.«
»Dann nehme ich das ganze Programm. Big Mac, große Pommes und große Cola.«
»Ist das alles?«
»Den Nachtisch such ich mir hinterher aus.«
»Davon kriegt man
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