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Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall

Titel: Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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nah Peterborough und London lagen - nur zirka einhundertdreißig Kilometer voneinander entfernt, fünfzig Minuten mit dem Zug - und wie viele Menschen diese Strecke Tag für Tag zurücklegten. Das war ja Sinn des in den sechziger Jahren aus der Taufe gehobenen New-Town-Programms gewesen: Die Ballungsgebiete sollten entlastet, die Einwohner in die Peripherie gelockt werden. Basildon, Bracknell, Hemel Hempstead, Hatfield, Stevenage, Harlow, Crawley, Welwyn Garden City, Milton Keynes waren alles Städte, die in einem Ring um London lagen, noch näher als Peterborough. Sie waren Einzugsgebiet der aus allen Nähten platzenden Hauptstadt geworden, die für viele zu teuer war. Damals hatte Michelle natürlich noch nicht in Peterborough gewohnt, aber sie wusste, dass sich die Bevölkerung von 62 000 Einwohnern im Jahr 1961 auf 134000 im Jahr 1981 mehr als verdoppelt hatte und die Zielvorgabe des New-Town-Programms somit erfüllt worden war.
      Michelle konnte sich nicht auf The Profession ofViolence konzentrieren (sie durfte nicht vergessen, Banks das Buch zurückzugeben), deshalb ließ sie das Essen mit dem ehemaligen Detective Inspector Robert Lancaster noch einmal Revue passieren. Er war ein paar Jährchen älter als Ben Shaw, aber die beiden waren aus dem gleichen Holz geschnitzt. Sicher, Shaw war grobschlächtiger, sarkastischer, weitaus unangenehmer als Lancaster, aber im Grunde waren beide vom selben Schlag. Nicht unbedingt korrupt - das glaubte Michelle dem Alten gern -, aber sie drückten durchaus ein Auge zu, wenn es ihnen nützte. Sich vorübergehend mit den Ganoven zu verbrüdern, hatte für sie nichts Ehrenrühriges. Wie Lancaster erklärt hatte, war er Schulter an Schulter mit Verbrechern wie den Krays und kleineren Fischen wie Billy Marshall aufgewachsen. Die Entscheidung, welchen Weg er beruflich einschlagen würde, hatte scheinbar ganz in Gottes Hand gelegen.
      Es war interessant, was Lancaster über Graham Marshall erzählt hatte. Bedenkenswert war schon, dass er sich überhaupt an den Jungen erinnerte. Michelle wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass es möglicherweise Grahams eigene kriminelle Machenschaften gewesen waren, die zu seinem Tod geführt hatten. Selbst jetzt fiel es ihr schwer zu glauben. Nicht dass Vierzehnjährige nicht kriminell sein konnten. Gerade heutzutage war alles möglich. Aber wenn Graham Marshall in Geschäfte verwickelt gewesen war, die für ihn tödlich endeten, hätte es doch sicher jemand gewusst und der Polizei einen Tipp gegeben. So eine heiße Spur hätten Jet Harris oder Reg Proctor bestimmt aufgenommen.
      Das eigentliche Problem war, dass Michelle nicht wusste, wie sie weitere Informationen über Graham erhalten sollte. Sie konnte noch einmal die alten Aussagen, die Merkbücher der ermittelnden Beamten durchlesen und die angeordneten Maßnahmen kontrollieren, aber wenn Graham nicht auf kriminelle Machenschaften hin überprüft worden war, wäre das alles sinnlos.
      Aus unerfindlichem Grund verlangsamte der Zug. Es war ein Intercity, kein Nahverkehrszug. Michelle ging in den Speisewagen und holte sich einen Kaffee. Der Pappbecher war viel zu heiß, obwohl sie ihn mit drei, vier Servietten umwickelt hielt. Wenn sie den Deckel abnähme, würde der Kaffee überschwappen, sobald sich der Zug wieder in Bewegung setzte. Michelle riss ein kleines Loch in den Plastikdeckel und entschloss sich zu warten, bis der Kaffee ein wenig abgekühlt war.
      Sie sah auf die Uhr. Nach acht. Draußen wurde es dunkel. Nach dem Gespräch mit Lancaster hatte sie einige Stunden auf der Oxford Street verbracht und jetzt ein schlechtes Gewissen, über hundert Pfund für ein Kleid ausgegeben zu haben. War sie auf dem besten Wege, kaufsüchtig zu werden? Das Geldausgeben musste ein Ende haben, genau wie das Trinken. Sie würde sowieso nie Gelegenheit haben, das dumme Ding anzuziehen, es war ein Cocktailkleid: elegant, trägerlos, schick. Sie ging ja nie auf Partys. Was hatte sie sich nur dabei gedacht?
      Als der Zug sich nach einer halben Stunde ohne irgendeine Erklärung für die Verspätung wieder in Bewegung setzte, fiel Michelle ein, dass es einen Menschen gab, der etwas über Grahams krumme Touren wissen konnte, auch wenn es ihm vielleicht nicht bewusst war: Banks. Sie bereute, ihn am Vortag bei Starbucks sitzen gelassen zu haben. Sicher, wie er sich in ihr Privatleben eingemischt hatte, den Teil von ihr, den sie misstrauisch hütete, das hatte sie gestört, aber vielleicht hatte

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