Inspector Barnaby 01 Die Rätsel von Badgers Drift 02 Requiem für einen Mörder
mußte, ist er hinter mir hergekommen. Sein Umhang hat kein Licht mehr durchgelassen ... ich saß in der Falle. Dann hat er versucht, mich zu erwürgen...« Nicholas murmelte etwas in sich hinein. Barnaby beugte sich vor und betrachtete Nicholas’ lilienweißen Hals. »Oh, aber er hat mich nicht wirklich angefaßt.«
»Ich verstehe«, erwiderte der Chefinspektor. »Er hat zwar versucht, Sie zu erwürgen, aber er hat Sie nicht wirklich angefaßt.«
Nicholas verfiel in Schweigen. Wie konnte er bloß die Gefühle beschreiben, die er während dieser schrecklichen Minuten empfunden hatte, in denen er, vor lauter Angst wie gelähmt, vor Esslyns Schakalatem und seinen knöchernen Fingern, die wie Klauen wirkten, immer weiter zurückgewichen war? Er fing zu stottern an und erklärte, er hätte das Stück um anderthalb Seiten verkürzt und gleich nach Kitty gerufen.
»Und Sie glauben wirklich, daß es nur Kittys Erscheinen zu verdanken war, daß er von seinem Angriff abgelassen hat?«
»Ja... ich bin der festen Überzeugung.«
»Aber nur einstweilen?«
»Wie bitte?«
»Nun ja, wenn jemand ganz offensichtlich etwas Derartiges vorhat und beim ersten Versuch davon abgehalten wird, dann wird er immer eine Gelegenheit suchen, einen zweiten Angriff zu starten.«
»Daran habe ich in diesem Augenblick nicht gedacht. Ich habe mir nur gesagt, wenn ich von der Bühne komme, bin ich in Sicherheit.«
»Erwarten Sie wirklich, daß ich Ihnen das glaube?«
»Ich weiß, daß es nicht sehr überzeugend klingt, Tom.«
»Es klingt sogar total unglaubwürdig! Plausibler dagegen wäre es, wenn Sie voller Angst und Wut rausgekommen wären, die Klinge genommen, den Tesafilm abgerissen hätten und - Bingo! Sie hätten ihn erwischt, bevor er Sie erwischen konnte. Und damit wäre das ganze Problem gelöst gewesen.«
»Das ist nicht wahr.«
»Wenn Sie auf Notwehr plädieren«, meinte Barnaby freundlich, »dann könnten Sie mit drei Jahren davonkommen.«
»Nein!«
»Wieso sind Sie geradewegs zum Requisitentisch gegangen?«
»Ich habe mich dort bloß für ein paar Sekunden hingesetzt. Ich war völlig durch den Wind und hatte diesen Splitter im Daumen, der wie Feuer brannte. Dann bin ich in die Herrengarderobe runter gegangen.« Nicholas konnte hören, wie die Sätze zwischen seinen klappernden Zähnen hervorholperten. Jeder Satz klang noch weniger überzeugend als der vorangegangene.
»Hat Sie jemand gesehen?«
»... Ich weiß es nicht... Rosa...«
»Was zum Teufel hatte denn Rosa in der Herrengarderobe zu suchen?«
»Sie war nicht dort. Ich konnte keine Pinzette finden und bin deshalb in den Nebenraum gegangen.«
»Wer war in der Herrengarderobe?«
»Niemand.« Barnaby schien erstaunt. »Aber... wenn ich die Klinge wirklich in der Hand gehabt hätte, dann hätte ich doch das Klebeband abgezogen und mich schleunigst aus dem Staub gemacht, ehe ich von jemandem vermißt worden wäre, oder etwa nicht?«
»Oh, da wäre ich mir nicht so sicher. Wenn ich an dem Messer herummanipuliert hätte, wäre ich sichergegangen, für den Aufenthalt in der Garderobe einen Vorwand parat zu haben und hätte in diesem Fall bewußt dafür gesorgt, daß ich von jemandem gesehen werde.«
»Sie glauben doch nicht etwa, daß ich mir deshalb den Splitter in den Daumen gerammt habe? Es war schrecklich schmerzhaft.« Nicholas zupfte an dem Pflaster.
»Wollen Sie die Wunde sehen?«
Barnaby schüttelte den Kopf und erhob sich langsam von seinem Stuhl. »Sergeant, sehen Sie doch mal nach, ob wir nicht etwas Tee bekommen können. Meine Kehle ist schon ganz ausgetrocknet...«
Nicholas wartete einen Moment, und als Barnaby keine Anstalten machte, die Befragung fortzusetzen, erhob er sich reichlich schwankend. »... Ist das alles, Tom?«
»Fürs erste ja.«
»Meinen Sie« - Nicholas schien beinahe einen Witz aus den Worten machen zu wollen - »ich sollte mir einen Anwalt besorgen?«
»Jeder sollte einen Anwalt haben, Nicholas«, antwortete Barnaby und lächelte sanft. »Man weiß ja nie, wann man ihn gebrauchen kann.«
Es war etwa zehn Minuten später, als Nicholas seinen Mantel anzog und ihm plötzlich etwas Schreckliches einfiel. Barnaby hatte die erste Frage, die selbst ein weniger erfahrener Ermittler gestellt hätte, nicht gestellt. Und der Chefinspektor war sicher weit davon entfernt, ein Dilettant zu sein, wie allein Nicholas’
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