Inspector Barnaby 01 Die Rätsel von Badgers Drift 02 Requiem für einen Mörder
Trenchcoat über und raste aus dem Gerichtssaal. Alle anderen ließen sich mehr Zeit, redeten und fragten und beäugten sich mit einer Mischung aus Erregung und Bestürzung wie ein Haufen Kritiker, die Zeugen einer Vorstellung geworden waren, die ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt hatte.
Barnaby sah Barbara Lessiter nach, die am Arm ihres Mannes hinausrauschte. Während der ganzen Anhörung hatte sie ruhig und gelassen gewirkt, aber ihre Hände waren ständig in Bewegung gewesen, Barnaby ging zu der Reihe, in der sie gesessen hatte, und entdeckte auf dem Boden vor ihrem Stuhl ein Häufchen - Barbara Lessiter hatte ein Papiertaschentuch in kleine Stücke zerrissen. Er erinnerte sich an den neulich so schnell versteckten Brief und bedauerte, daß sie einen Hut mit Schleier getragen hatte. Er hätte zu gern ihr Gesicht gesehen, als die Entscheidung der Geschworenen verkündet wurde.
Fast alle waren gegangen. Nur eine Person hockte ein Stück entfernt mit gesenktem Kopf. Barnaby ging zu ihr und ließ sich neben ihr nieder.
»Miss Bellringer ...?« Sie schaute ihn an. Ihre Haut war aschfahl, ihre Augen trüb. »Geht es Ihnen nicht gut?« Da sie nicht antwortete, setzte er hinzu: »Sie sind sich jetzt sicher im klaren, wohin unsere Ermittlungen führen, nicht wahr?«
»Natürlich ... das heißt, ich nehme es zumindest an.« Ihre normale Überschwenglichkeit war wie weggeblasen. Sie sah sehr alt aus. »Aber bis jetzt hat es noch niemand deutlich in Worte gefaßt. Warum ist es jetzt, da es ausgesprochen wurde, um so vieles schlimmer?« Sie richtete einen fragenden Blick auf sein Gesicht, als könne er es ihr erklären. Es entstand eine lange Pause.
Schließlich sagte Barnaby: »Es tut mir leid.«
»So eine Niedertracht.« Zorn zeichnete ihr Gesicht, und ihre Augen blitzten. »Ein Leben lang hat sie sich um andere Menschen gekümmert. Sie war eine wunderbare Lehrerin, eine bessere, als ich jemals war. Und natürlich kannte sie sie, wer immer sie auch waren. Das ist das schrecklichste. Sie muß sie in ihrem Haus willkommen geheißen haben.« Barnaby stimmte ihr im stillen zu. »Sie müssen gefaßt werden«, fuhr sie fort - ihre Stimme wurde mit jedem Wort fester. »Gut - wie lauten Ihre Anweisungen, Chief Inspector? Was soll ich als nächstes tun?«
»Nichts. Ich fürchte, wir ...«
»Oh, aber ich muß irgend etwas tun. Ich kann mit den Leuten reden, nicht wahr? Herausfinden, ob jemandem irgend etwas auf gefallen ist an dem Tag, an dem sie starb. Und wer diese mysteriöse Annabella sein könnte. Vielleicht erfahre ich, wer sie ist.«
»Tut mir leid, Miss Bellringer...«
»Aber ich muß Ihnen helfen. Sie können sicher verstehen, warum, Chief Inspector.«
»Ich verstehe Sie natürlich, aber...«
»Poirot«, unterbrach sie ihn wehmütig, »hatte seinen Hastings.«
»Und ich, Miss Bellringer, habe die Unterstützung einer modernen Polizeibehörde. Die Welt hat sich verändert.«
»Ihre Leute können nicht überall gleichzeitig sein. Jedenfalls bin ich sicher«, sie legte eine behandschuhte Hand auf seinen Arm, »daß sie nicht so intelligent sind wie Sie.«
»Bitte, seien Sie doch vernünftig«, sagte Barnaby, ohne auf ihre unverhohlene Schmeichelei einzugehen. »Ihre Freundin würde bestimmt nicht wollen, daß Sie Ihr Leben aufs Spiel setzen.«
Sie zog ihre Hand zurück. »Was, um alles in der Welt, meinen Sie damit?«
»In einer so kleinen Gemeinde wie Badger’s Drift wäre jedem sofort klar, was Sie beabsichtigen. Jemand hat einmal getötet, und wer glaubt, ein zweiter Mord könnte ihn schützen, zögert sicher nicht, wieder zu töten. Und vergessen Sie nicht«, fügte er hinzu, als sie aufstanden und zusammen zum Ausgang gingen, »daß Miss Simpson ihren Mörder sehr gut gekannt hat - und demzufolge kennen Sie ihn auch.«
* 2
Um neun Uhr am selben Abend stand Phyllis Cadell neben der Anrichte in dem größeren der beiden Wohnzimmer von Tye House. Sie stand ganz still und lauschte. Sie hatte ihren Nachtisch so schnell hinuntergeschlungen, daß sie fürchtete, die beiden anderen würden etwas bemerken, aber wie gewöhnlich hatten sie nur Augen füreinander gehabt. Phyllis starrte auf die halboffene Tür. Katherine war in der Küche und weichte die Teller im Spülwasser ein. Henry trieb sich bestimmt in ihrer Nähe herum und sah ihr fasziniert bei diesem schwierigen Unterfangen zu. Phyllis nahm hastig den geschliffenen
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