Inspector Barnaby 03 - Ein Böses Ende
Wohnort seiner Tochter versagt blieb, hatte er nicht begriffen, wie wichtig dies für seinen Seelenfrieden war. Auch wenn sie sich voller Bitterkeit von ihm fernhielt, hatte er zumindest gewußt, daß es ihr »gutging«, im eigentlichen Sinne des Wortes. Nachdem sie verschwunden war, registrierte er tagsüber und während der Nacht - vor allem in seinen Träumen - eine große, alles verschlingende Dunkelheit, die ihn in Augenblicken, in denen seine Achtsamkeit nachließ, zu übermannen drohte.
Einmal, als diese Ängste ihn fast bei lebendigem Leib auffraßen, hatte er sich kurz mit der Presse unterhalten. Die würde sie schon finden. GAMELIN-ERBIN VERSCHWUNDEN! Sie hatten massenhaft Fotos von ihr in ihren Archiven. Sie würden sie jagen und aus ihrem Versteck zerren. Irgendwo wußte irgend jemand, wo sie war. Auch wenn diese Vorgehensweise die Vater-Tochter-Beziehung nicht noch stärker belastete, als das ohnehin schon der Fall war, so standen die Chancen auf eine wie auch immer geartete, zukünftige Versöhnung nun schlechter denn je. Eine Möglichkeit, an die Guy unvernünftigerweise immer noch glaubte.
Knapp drei Wochen nach Sylvies Verschwinden stieß das Rechercheteam von Jaspers auf einen Informationskrümel. Eine Detektivin war auf die kluge Idee gekommen, einen Termin bei Sylvies Friseur zu machen. Dort stellte sie mit großen Augen und exaltiertem Gehabe die Vermutung an, daß Felix und seine Lockenwickler Zugang zu den Geheimnissen der Hälfte aller Mitglieder der Londoner Gesellschaft hatten. Ihre Schmeicheleien lockerten die Zunge des Hairstylisten beträchtlich. Nachdem er zu der Überzeugung gelangt war, daß jemand, der einen so gräßlichen selbstgestrickten Pulli und einen Vororthaarschnitt trug, garantiert kein Klatschkolumnist sein konnte, ließ er den einen oder anderen Namen fallen und wartete mit schlüpfrigen Anekdoten auf, die die Gute mit ihren langweiligen kleinen Freunden in Ruislip oder wo auch immer teilen konnte.
Zwei Informationen bezogen sich auf Sylvia Gamelin. Offenbar langweilte Hammersmith sie in Grund und Boden (»Und wem ginge das nicht so, meine Liebe?«). Daher war sie an einen ruhigen, sauberen und friedlichen Ort gezogen. Auf die drängende Frage, wo dieser Ort denn sein mochte, erwiderte Felix: »Sie redete nur vom Land. Und wir alle wissen doch, wie groß das ist, nicht wahr? Womöglich hat sie ja nicht mal die an London angrenzenden Grafschaften gemeint.« Klappernde Scheren blieben angesichts dieser bedrohlichen Vorstellung in der Luft hängen.
»Sie sagte, sie habe einen ungewöhnlichen Mann kennengelernt, aber ob die beiden Dinge miteinander in Beziehung stehen...«
Auch wenn diese Informationsschnipsel Guy nicht zu beruhigen vermochten, stürzte er sich wie ausgehungert auf sie und wies Jaspers an, die Bemühungen zu verdoppeln und auszuschwärmen. Weitere Hinweise oder Spuren wurden trotz aller Anstrengung nicht gefunden. Sechs leere Monate verstrichen, nicht ohne bei Guy Spuren zu hinterlassen. Die tiefe Befriedigung, die er früher aus dem Ankauf und der rigiden Umgestaltung von Firmen, aus der Durchsetzung auf dem internationalen Markt gezogen hatte, verwandelte sich in das dumpfe, ganz und gar nicht zielgerichtete Verlangen, anderen Schmerz zuzufügen. Was wiederum Einfluß auf seine Urteilsfähigkeit hatte. Er kaufte und verkaufte mit einer gewissen Schwerfälligkeit und begann zum ersten Mal seit zwanzig Jahren Geld zu verlieren. Gottlob war vor ein paar Tagen der Brief gekommen.
Nach dem ersten gewaltigen Schock, der nur natürlich ist, wenn einem etwas, wonach man sich lange gesehnt hat, einfach so in die Hände fällt, war Guy nun aufgeregt wie schon lange nicht mehr. Obwohl das Briefpapier nicht Sylvies Handschrift trug (der Brief stammte überhaupt nicht von ihr), handelte die Nachricht von ihr und enthielt - was noch besser war - eine Einladung. Immer wieder nahm Guy den Brief in die Hand, der für ihn inzwischen fast die Funktion eines Talismans hatte. Jetzt war er nicht da, wo er sein sollte. Er durchsuchte alle anderen Taschen, zupfte entnervt am Futter herum, bis ihm einfiel, daß er sich umgezogen hatte. Egal. Er kannte die Adresse und jede Zeile auswendig.
Sehr geehrter Mr. & Mrs. Gamelin, Ihre Tochter wohnt nun seit einiger Zeit bei uns. Am 19. August werden wir ihren Geburtstag feiern und würden uns freuen, wenn Sie beide kommen könnten. Vielleicht gegen halb acht. Wir essen um acht. Mit freundlichen Grüßen,
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