Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inspector Barnaby 03 - Ein Böses Ende

Inspector Barnaby 03 - Ein Böses Ende

Titel: Inspector Barnaby 03 - Ein Böses Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Graham
Vom Netzwerk:
sich als äußerst befriedigend herausgestellt), und ab und an waren andere Kinder ins Gamelin-Haus eingeladen worden. Einmal war Guy nach Hause gekommen und hatte Horden von Kindern mit bunten Ballons und Karnevalhütchen und einen Mann in einem Clownkostüm auf einem Einrad angetroffen. Bei jener Gelegenheit hatte Sylvie sich mit ernster Miene bei ihm für eine wunderhübsch gekleidete, einen Meter große Puppe bedankt, die ihm noch nie zuvor unter die Augen gekommen war. Normalerweise kam ihr kein Sterbenswörtchen über die Lippen, und wie sollte Guy, bar jeder Phantasie, jenen leidenschaftlichen Hunger seiner Tochter nach Liebe und Lob oder einfach nur Aufmerksamkeit verstehen?
      Und dann, nach ihrem zwölften Geburtstag, veränderte sich alles grundlegend. An jede Minute dieses Tages entsann er sich noch ganz genau. Jemand hatte sie gebeten, etwas auf dem Klavier zu spielen. Da Musik auf dem Stundenplan ihres extrem teueren Internats stand, mußte sie lernen zu musizieren. Sylvie besaß kein Talent, hatte sich aber, da sie schon Stunden nehmen und während der Schulzeit üben mußte, eine rudimentäre Technik angeeignet. Sie hatte »The Robin’s Return« gewählt, eine altmodische, ziemlich sentimentale Melodie. Guy stützte sich auf den Marmorkamin und fragte sich, ob er mit seinem Gespür für Veränderung bei Blue Chip Trusts richtig gelegen hatte, als er über den weißen Steinway-Flügel blickte und zum ersten Mal das Gesicht seiner Tochter wahrnahm.
      Blaß, intensiv, starr vor Angst. Mit in Falten gelegter Stirn saß sie da, ihre Lippen eine schmale Linie der Konzentration. Dünne Ärmchen schwebten über den Tasten; ihr glänzendes braunes Haar wurde von einem samtbezogenen Kamm aus dem Gesicht gehalten. Sie trug ein blau-weiß gestreiftes Kleid mit großem weißem Kragen und eine Schleife mit dünnen dunkelblauen Linien. All diese Einzelheiten hatte Guy so deutlich und lebendig vor Augen, als wäre ihm gerade eben erst die Gabe des Sehens zum Geschenk gemacht worden. Und dann, bevor er sich auch vage an diesen beinahe halluzinogenen Anblick gewöhnte, ereignete sich eine zweite, weitaus seltsamere Begebenheit.
      Eine Glut extremer Emotionen überwältigte ihn. In dem Gefühl, darin zu ertrinken, von ihnen weggetragen zu werden, hielt er sich unendlich beunruhigt am Kamin fest. Er bildete sich ein, just erkrankt zu sein, so stark reagierte sein Körper. Sein Herz fühlte sich an, als drücke jemand fest zu, sein Magen machte einen Satz und wurde dann zusammengedrückt. Doch damit nicht genug - nachdem diese Gefühle verebbt waren, blieb ein trauriger Rest über und ließ ihn mit der Gabe des Verstehens zurück.
      In kürzester Zeit wußte er um die Verzweiflung, die Einsamkeit, den Hunger nach Liebe, unter dem seine Tochter litt. Und gleich darauf lernte auch er den Schmerz kennen und empfand eine besorgte, auf sie gerichtete Zärtlichkeit. Die Neuartigkeit und die Macht dieses Schmerzes - von dem ihm jeder Vater hätte berichten können - fühlte sich an wie ein Messer, das ihm jemand in den Magen rammte. Er ertrank in ihrem ernsten Antlitz, und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, daß er sie nur selten lächeln gesehen hatte. (Warum war ihm das bisher nicht auf gefallen?) Das Wissen um ihre Traurigkeit berührte ihn über alle Maßen. Und dann überfiel ihn das verzweifelte Bedürfnis zur Wiedergutmachung. Ihr seine Liebe anzubieten.
      Ja - er erkannte dieses Gefühl als das, was es war, obgleich man es ihm niemals entgegengebracht hatte. Er gelobte, ihr alles zu geben. Sich Zeit für alles mögliche zu nehmen, die vergangenen Jahre wettzumachen. Als die Musik leiser wurde und nach ein paar Noten gänzlich verhallte, applaudierte er, brachte die Hände zu laut zusammen. Amüsiert und fassungslos starrte Felicity ihn an.
      »Das war sehr gut, Sylvie. Ausgezeichnet, Liebling! Du machst große Fortschritte.« Es überraschte ihn, wie selbstverständlich ihm diese Worte über die Lippen kamen. Ihm, der niemals ein Lebewesen gelobt hatte. Er wartete auf ihre Reaktion, hing väterlichen Illusionen nach, malte sich ihre Freude über seinen Enthusiasmus aus. Behutsam klappte sie den Tastendeckel zu, erhob sich von ihrem Stuhl und verließ das Zimmer. Felicity lachte.
      Von jenem Augenblick an verfolgte Guy seine Tochter. Er nahm sie aus dem Internat, um sie jeden Tag sehen zu können. Jedes Wochenende überlegte er sich Aktionen, die ihr möglicherweise gefielen oder sie

Weitere Kostenlose Bücher