Inspector Jury besucht alte Damen
vergebens. Aber er wußte, daß er diesen Nervenkrieg nur noch ein wenig länger führen mußte, und sie würde zusammenbrechen. Die Crisp hatte nicht dieses aufgesetzte Laissez-faire-Gebaren, welches sich Trueblood zugelegt hatte. Diese spindeldürre Gestalt durchlief schon ein Schauder, und ihre Hände fingen an zu zittern, wenn er nur auf der Schwelle ihres verstaubten Ladens stand, der aus einem Roman von Dickens hätte sein können. Betrat er jedoch Truebloods Antiquitätenladen, so wölbte dieser Mensch lediglich eine nachgezogene Braue und steckte schon wieder so eine regenbogenfarbene Zigarette in seine Spitze. Was der für Vorlieben hatte! Und kostspielige Vorlieben noch obendrein.
Theo stopfte ein schwarzes Zigarillo in eine elegante Ebenholzspitze und sinnierte weiter. Diane Demorney hatte vielleicht gar nicht so unrecht. Zwar wirkten ihre kleinen Wissensfetzen auf ihn wie eine zu knapp bemessene Patchworkdecke, doch was sie wußte, schien sie aus dem Effeff zu beherrschen. Schon verdammt schlau, dachte er; anstatt mit herkulischem Kraftaufwand Geschichte zu büffeln, nimmt sie sich einen Happen vor, den sie in noch kleinere Häppchen zerlegt. Er hatte sie Richard III. in allen Einzelheiten diskutieren hören, bis der Gesprächspartner einfach das Handtuch werfen mußte, vor allem dann, wenn sie auf den Mord im Tower zu sprechen kam. Und dabei hatte sich Diane nicht mal die Mühe gemacht, ein Geschichtsbuch aufzuschlagen. Sie hatte einfach The Daugther of Time zweimal durchgeackert; und die Lektüre eines Kriminalromans war mit Sicherheit leichter als die staubtrockener Geschichte. Würde doch einmal jemand einen Krimi in einer Buchhandlung spielen lassen! Nein, in einer Buchhandlung und einem Antiquitätengeschäft, dachte Theo. Trueblood hatte sich selbstverständlich spezialisiert – das tat doch jeder, der anderen Menschen Antiquitäten andrehte, zumindest aber gab er sich den Anschein. Wahrscheinlich kannte sich Trueblood wirklich aus, das mußte der Neid ihm lassen. So sehr er auch mit seinen ganzen farbenprächtigen, wehenden Schals durchs Leben wirbelt, alles, was mit seinem Beruf zu tun hat, nimmt er ernst, dachte Theo wieder einmal, hob den Blick zur mausgrau gestrichenen Decke und fuhr sich mit der Hand an die Kehle. Millamant. Gar keine schlechte Idee. Da konnte er gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen – Antiquitäten und Theater –, wenn er sich über William Congreve schlau machte. Nein, etwa den Lauf der Welt mehrere Male durchackern so wie Diane ihren Krimi Die Tochter der Zeit ? Guter Gott! Dabei hatte er durchaus versucht, den Lauf der Welt zu lesen, und es nicht geschafft; der Dialog sprühte nur so vor Witz, jede Zeile klirrte wie ein Eiszapfen, jede schlagfertige Erwiderung traf mitten ins Herz. – Dann wischte er sich noch einmal die Stirn und widmete sich wieder seinem Buch.
Diane Demorney dachte in der Tat in diesem Augenblick daran, andere Welten zu erobern, nachdem sie auf dieser hier mit Feuer und Schwert auf jedem sich bietenden Schlachtfeld gewütet hatte. Sie saß in dem luxuriösen Wohnzimmer des Hauses, das sie den Biaster-Strachans in London abgekauft hatte, rauchte eine Zigarette, trank einen Martini und schmiedete Pläne. Wenn sie eine Tugend in überreichem Maße zu besitzen meinte, dann Amoralität; nichts, was sie einmal abgehakt hatte, bereitete ihr noch Kopfschmerzen. Ein Mann, der meinte, er könne ihr den Laufpaß geben, verdiente es nicht besser.
Ihr jetziger Feldzug galt einem neuen Ehemann; wenn sie merkte, daß sie anfing sich zu langweilen (was oft geschah), dann endete das in der Regel in einer Ehe, auch wenn sie wußte, daß diese sie nach ein paar Monaten oder einem Jahr noch mehr langweilen würde.
Als sie die Fünfunddreißig erreichte, war Diane Demorney bereits viermal verheiratet und geschieden. Dann kam ein Interregnum von fünf Jahren, in dem sie sich mit Liebesaffären begnügt hatte, doch auch das verlor allmählich seinen Reiz. Theo Wrenn Browne war amüsant und bissig, besser gesagt, gemein, Eigenschaften, mit denen Diane Demorney selbst in überreichem Maße gesegnet war. Es könnte recht nett sein, jemanden zu heiraten, der einem selbst glich, auch wenn er nicht ganz so schlau war. Bedauerlicherweise hatte er wenig Geld. Nicht daß Diane Geld nötig gehabt hätte, damit war sie reichlich versehen. Aber sie schätzte den Überfluß. Wenn ein Mercedescoupé für den eigenen Bedarf reichte, wieso dann nicht zwei haben?
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