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Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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mehr im 19. Jahrhundert. Und wieso dann nach Jahren diese Gewissensbisse, die Edward dazu veranlaßten, Helen das Haus zu vermachen, statt es seinem eigenen Sohn zu hinterlassen? Zuerst wollte er Helen einfach nur loswerden, und dann holt er sie wieder zurück. Ziemlich merkwürdig, das muß ich schon sagen.»
    Nell kam in die Bar zurück. «Nun also. Was wollen Sie von mir?»
    «Old Peculier», sagte Melrose und legte eine Pfundnote auf den glänzenden Tresen.
    Sie machte einen verwirrten Eindruck. «Es ist noch zu früh für die Bar. Ich fürchte, ich kann Ihnen nichts Alkoholisches ausschenken. Das heißt –» Sie warf Jury einen schnellen Blick zu. «Ich werde ausnahmsweise ein Auge zudrücken.» Sie zapfte Melrose sein dunkles Ale.
    «Erzählen Sie uns ein bißchen von Robbie.»
    Sie setzte das Glas abrupt ab. «Robbie? Was ist denn mit ihm?»
    Jury hielt ihr sein Zigarettenpäckchen hin. «Woher soll ich das wissen? Deshalb frage ich ja.»
    Sie fischte eine Zigarette aus dem Päckchen und zündete sie an. «Na ja, er geht uns halt ein bißchen zur Hand. Dafür kriegt er was zu essen und etwas Taschengeld. Armer Junge. Wie gesagt, er kam hierher, als er von der Schule abging. Ein herzensguter Kerl. Wir haben ihn aufgenommen. Er gehört zur Familie.»
    «Er ging auf die Bonaventura-Schule?»
    «Ja.»
    «Auf dem Friedhof der katholischen Kirche in Washington liegt ein Robert Lyte begraben. Könnte das ein Verwandter von ihm gewesen sein?»
    Auch wenn es noch etwas zu früh dafür war, so sagte Nell Hornsby doch nicht nein zu einem Drink. Während sie eine Flasche aus dem Regal nahm, meinte sie: «Robert? Möglich wär’s. Ich weiß nicht. Aber warum haben Sie’s denn so auf Robbie abgesehen? Hat er denn was angestellt? Er doch nicht, das kann ich mir nicht vorstellen.»
    «Nein, natürlich nicht.»
     
    Melrose, dessen Laune sich durch den Old Peculier wesentlich gebessert hatte, ließ Jury mit Nell Hornsby plaudern und ging in das kalte Hinterzimmer, um Tommy Whittaker und Robbie beim Spielen zuzuschauen. Robbie hielt das Queue zwar wie seinen Besen, aber doch mit sehr viel mehr Begeisterung. Tommy machte einen Sicherheitsstoß und ermöglichte Robbie einen langen, direkten Stoß auf eine rote Kugel. Nicht zu einfach und nicht zu kompliziert. Der Stoß mißlang.
    Doch Tommy war ein zu guter Spieler, um nicht alles um sich herum zu vergessen – auch Robbie, zumindest für den Augenblick. Er versenkte dieselbe rote Kugel mit einem so raffinierten Effetstoß, daß die weiße in günstiger Position zur schwarzen liegenblieb.
    Melrose war völlig in das Spiel vertieft, als jemand in Höhe seines Ellbogens sagte: «Er könnte doch einfach gleich die schwarze spielen.»
    Er sah sich um, konnte aber niemanden entdecken, bis er den Blick senkte. Die Eigentümerin der Stimme hielt eine Puppe im Arm, die beinahe so groß war wie sie selbst. Ein Kind! Er warf der Kleinen einen Blick zu, der jeden anderen auf der Stelle verscheucht hätte.
    Sie aber blieb nicht nur stehen, sondern verteidigte auch noch ihre Meinung. «Warum spielt er nicht einfach mit der schwarzen weiter, statt immer mit der weißen, wenn er sie doch loswerden will?» Sie sah stirnrunzelnd zu Melrose auf, als wäre er verantwortlich für diese lächerlich umständlichen Spielregeln. Melrose überlegte. Sie konnte nicht älter als fünf oder sechs sein, stand einfach da mit dieser übergroßen, blöden Puppe im Arm – und wollte schon neue Spielregeln aufstellen. «Weil», erwiderte Melrose bissig, «es bestimmte Regeln gibt. Und jetzt gehst du wieder schön brav zurück und ziehst deine Puppe an.»
    «Sie ist doch angezogen», sagte die Kleine, die seine Bemerkung offensichtlich als Einladung auffaßte, ihm Gesellschaft zu leisten. Sie rutschte neben ihn auf die Bank und fügte vielsagend hinzu: «Oder besser: er .» Der Blick, den sie der Puppe zuwarf, ließ Zweifel erkennen.
    Er versuchte Tommys Spiel zu verfolgen und verwünschte sich insgeheim dafür, daß er die Puppe überhaupt erwähnt hatte. Die Kleine hielt seine Bemerkung für ein Zeichen echten Interesses und ließ nun nicht mehr locker.
    «Sie hat ’n hübsches Kleid an, oder?»
    Ihre einschmeichelnde Stimme und strahlenden Augen ließen Melrose jedoch kalt. Er wandte den Blick nicht von Tommys Queue – Robbie war zurückgetreten und stand vergessen da wie eine einarmige Statue in einem Park – und hütete sich, ihr darauf zu antworten.
    «Die Windel darunter macht ihn ’n bißchen

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