Inspector Rebus 10 - Die Seelen der Toten
Zweck, mich zu beschützen. Ich, nicht Nicky, gehöre in die Zelle.«
»Danke für den Ratschlag.«
»Sie lassen ihn doch laufen, oder?«
Er stand auf, beugte sich über den Tisch zu ihr hinunter. »Ich kenne Dämons Familie. Ich habe gesehen, wie sie gelitten haben. Ihr Herzensbrüderlein hat nicht die leiseste Vorstellung davon.«
Sie funkelte ihn an. »Und warum sollte er?« Ihm fielen tausend Antworten ein, Antworten, die sie eine wie die andere einfach vom Tisch gefegt hätte. Also sagte er stattdessen, dass er eine schriftliche Aussage von ihr brauchte. Er würde jemanden vorbeischicken, der sie aufnehmen würde. Er wandte sich zur Tür.
»Und dann lassen Sie Nicky raus, Inspector, ja?« Sein bescheidener Sieg: Er ging, ohne ein Wort zu sagen.
Epilog
An dem Abend war er wieder auf der Cowgate, weiter östlich diesmal, hinter der ausrangierten Leichenhalle, und ging auf die Baustelle an der Holyrood Street zu. Jenseits davon konnte er ein paar Hochhäuser von Greenfield ausmachen und dahinter die Salisbury Crags. Die Sonne war untergegangen, aber zu dieser Zeit des Jahres konnte sich die Dämmerung endlos hinziehen. Die Abbrucharbeiten waren für heute eingestellt worden. Er konnte nicht beschwören, wo genau alles hinkommen sollte, aber er wusste, dass da ein Zeitungsgebäude, ein Themenpark und das Parlamentsgebäude entstehen würden. Und das alles, gemäß den Voraussagen, bis zum Ende des zwanzigsten Jahrhunderts. Um Schottland in das neue Millennium zu führen. Rebus versuchte, wenigstens einen schwachen Hoffnungsschimmer in sich zu entdecken, musste aber feststellen, dass er gegen seinen alten Zynismus nicht ankam.
Inzwischen war es dunkel geworden. Schatten schienen sich rings um ihn zu erheben, während in der Ferne eine Glocke läutete. Das Blut, das in den Stein eingesickert war, die Knochen, die nicht zur Ruhe kamen, die Geschichten und Schrecken von Edinburghs Vergangenheit und Gegenwart... er wusste, dass die stählernen Kiefer der Bagger sie alle zutage fördern würden, während die Stadt sich mühsam dafür rüstete, endlich wieder die Hauptstadt einer Nation zu werden.
Vergiss es, John, sagte er zu sich. Das hier ist einfach die Altstadt, nichts weiter.
Cary Oakes saß im Besuchszimmer des Saughton-Gefängnisses. Man hatte ihm keine Handschellen angelegt, und es war bloß ein Wärter anwesend - schon fast eine Beleidigung. Dann öffnete sich die Tür, und sein Rechtsbeistand trat ein. So wurden die hierzulande genannt: Rechtsbeistand. Cary lächelte, neigte den Kopf zum Gruß. Der Anwalt war jung, sah eifrig, aber auch nervös aus. Wahrscheinlich sein erster Auftrag, aber das war schon okay. Junge Spunde, die sich abrackerten, um nach oben zu kommen... die machten für einen unbezahlte Überstunden, legten immer noch eins drauf. Cary hatte nichts gegen frisches Blut.
Er wartete, bis der Typ auf seinem Stuhl saß, Notizblock aufgeklappt, Stift gezückt. Dann legte er mit seinem Verkaufsgespräch los.
»Ich bin unschuldig, Mann, so wahr mir Gott helfe. Und das müssen Sie tun: mir helfen. Gemeinsam können wir nachweisen, dass ich unschuldig bin.« Er beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf den Tisch. »Ich bin die Startrampe für Ihre Laufbahn. Sie sind mein Mann. Das spüre ich.«
Und bedachte ihn mit einem strahlenden, offenen Lächeln.
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