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Inspector Rebus 10 - Die Seelen der Toten

Inspector Rebus 10 - Die Seelen der Toten

Titel: Inspector Rebus 10 - Die Seelen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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the Museum
     

Prolog
    Aus dieser Höhe wirkt die schlafende Stadt wie die Bauklötzchenkonstruktion eines Kindes, ein Modell, das sich geweigert hat, in den engen Grenzen der Vorstellungskraft zu bleiben. Der vulkanische Kegelstumpf könnte aus schwarzem Knetgummi bestehen, die fest darauf thronende Burg eine Nachbildung aus Legosteinen sein. Die orangefarbenen Straßenlaternen sind zusammengeknüllte Stanniolpapierchen, die man an Lollistöckchen festgeklebt hat.
    Draußen auf dem Forth beleuchten schwache Taschenlampenglühbirnchen Spielzeugboote, die auf schwarzem Krepppapier liegen. In diesem Universum wären die zackigen Turmhauben der Altstadt schräg aneinander gelegte Streichhölzer. Princes Street Gardens eine Bahn Kletttuch mit darauf haftenden Filzknubbeln. Schuhkartons für die mehrstöckigen Mietshäuser, Türen und Fenster sorgfältig mit Farbstiften aufgemalt. Trinkhalme gäben Regenrinnen und Fallrohre ab, und mit einer scharfen Klinge - vielleicht einem Skalpell - ließen sich diese Türen auch öffnen. Aber hineinspähen... hineinzuspähen würde den ganzen Effekt zerstören. Hineinzuspähen würde alles ändern.
    Er steckt die Hände in die Taschen. Der Wind reibt seine Ohren blank. Er kann sich einreden, das sei der Atem eines Kindes, aber die Wirklichkeit widerspricht ihm.
    Ich bin der letzte kalte Wind, den du je spüren wirst .
    Er macht einen Schritt nach vorn, späht über die Kante und hinab ins Dunkel. Arthur's Seat kauert hinter ihm, geduckt und stumm, wie beleidigt durch seine Anwesenheit, zum Sprung bereit. Bloß Pappmache, sagt er sich. Er glättet Streifen von eingeweichtem Zeitungspapier, ohne die Meldungen und Schlagzeilen zu lesen, bis ihm bewusst wird, dass er nichts als Luft streichelt, und er mit einem verschämten Lachen die Hände zurückzieht. Er hört eine Stimme irgendwo hinter sich.
    Früher war er bei Tageslicht hier hinaufgestiegen. Vor Jahren wäre er vielleicht in Begleitung einer Freundin gewesen, Hand in Hand den Berg hinan, unter sich die Stadt, wie eine Verheißung ausgebreitet. Später dann mit Frau und Kind: auf dem Gipfel halten, um Fotos zu machen, darauf achten, dass niemand zu nah an den Abgrund kam. Vater und Ehemann, steckte er dann das Kinn in den Kragen und sah Edinburgh in lauter Grautönen, aber in der richtigen Perspektive, da er es jetzt gemeinsam mit seiner Familie unter sich gelassen hatte. Während er die ganze Stadt mit einem langsamen Schwenk des Kopfes in sich aufnahm, hatte er das Gefühl, dass er alle Probleme in den Griff bekommen konnte.
    Doch jetzt, in der Dunkelheit, sieht er klarer.
    Er weiß, dass das Leben eine Falle ist, dass seine stählernen Kiefer früher oder später um jeden zuschnappen, der sich einbildet, er könnte sich zum Sieg mogeln. Ein Polizeiauto heult in der Ferne, aber es meint nicht ihn. Eine schwarze Kutsche wartet auf ihn am Fuß der Salisbury Crags. Der kopflose Kutscher wird allmählich ungeduldig. Die Pferde beben und wiehern. Während der Heimfahrt werden ihre Flanken schweißnass sein.
    »Salisbury Crag« hat sich in der Stadt als rhyming-slang- Ausdruck etabliert. Es bedeutet skag , Heroin. »Morningside Speed« wiederum ist Kokain. Eine Nase Koks würde ihm momentan richtig gut tun, aber genug wäre sie nicht.
    Ganz Arthur's Seat könnte aus dem Zeug bestehen: Wie die Sache liegt, würde es rein gar nichts ändern.
    Im Dunkel hinter ihm ist eine Gestalt, die näher kommt. Er dreht sich halb um, um ihr die Stirn zu bieten, sieht dann rasch weg, hat plötzlich Angst, dem Gesicht ins Gesicht zu sehen. Er fängt an zu sprechen.
    »Ich weiß, es wird dir unglaublich erscheinen, aber ich habe...« Der Satz bleibt unvollendet. Denn jetzt segelt er über die Stadt hinaus, das Jackett über den Kopf gebläht, ein Segel, unter dem ein letzter, aus tiefster Seele kommender Schrei erstickt. Während sein Magen sich umdreht und entleert, fragt er sich, ob wirklich ein Kutscher auf ihn wartet.
    Und spürt, wie sein Herz aufplatzt in der Gewissheit, dass er seine Tochter nie wieder sehen wird, weder in dieser noch in einer anderen Welt.
     

Erster Teil
VERSCHOLLEN
    Auf Schritt und Tritt tun wir ohne die geringste böse Absicht auf vielfältigste Weise Unrecht.
    In jedem Augenblick sind wir Ursache von jemandes Unglück...
1
    John Rebus tat gerade so, als betrachtete er die Erdmännchen, als er den Mann sah und wusste, dass es nicht der richtige war.
    Seit fast einer Stunde versuchte Rebus, durch angestrengtes Blinzeln

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