Inspektor Jury küsst die Muse
herausschauten. Jury nahm den schmalen, dunklen Pfad hinter dem Theater, der am Fluß entlangführte.
Von dort kam dieses unterdrückte Gelächter, das zu einem schrillen Gekicher wurde, als er sich näherte, obwohl man ihn in dieser Finsternis nicht sehen konnte: Schulkinder, wie er an dem Gekicher und den glimmenden Zigaretten erkennen konnte. Als er näher trat, konnte er Jungen auf der Mauer des mit dorischen Säulen verzierten Gebäudes sitzen sehen. Sie bemerkten ihn erst, als er beinahe vor ihnen stand. Das Gelächter hörte schlagartig auf, und die Stimmen verstummten.
Wieder Kichern und Flüstern, als sie merkten, daß da jemand spazierenging. Während Streichhölzer aufflammten und Zigaretten angezündet wurden, fragte einer von ihnen: «Wer ist da?»
Jury spähte in die Dunkelheit des Gebäudes mit den Säulen, ohne jemanden oder etwas sehen zu können außer den glühenden Zigarettenenden. Er konnte die Schuluniform derer erkennen, die gesessen hatten (aber aufgesprungen waren, als sie ihn sahen). Die, die er sehen konnte, waren alle gleich angezogen. Als noch einige aus dem Dunkel hervortraten, nachdem ihre Neugier stärker geworden war als die Angst, erwischt zu werden, zählte er sechs oder sieben sowie ein paar andere, die in der sicheren Dunkelheit blieben und immer noch nervös kicherten.
In einem Ton, den einer der Jungen wohl für einen Beweis für Furchtlosigkeit hielt, wurde die Frage wiederholt: «Also, wer ist da ?»
«Niemand», sagte Jury. Streichhölzer flammten auf, und Zigaretten wurden angezündet.
«Sie sind doch kein Lehrer , oder?» fragte eine mißtrauische Stimme aus dem Dunkel.
«Großer Gott, nein.»
Die Antwort wurde mit Erleichterung zur Kenntnis genommen. «Was machen Sie hier draußen?»
«Ich gehe spazieren.» Er lächelte in die Dunkelheit. «Und was treibt ihr hier in dieser Dunkelkammer zum Filmentwickeln?»
Wieder Kichern, und eine Kleinmädchenstimme antwortete: «Oh, hier wird was anderes als Filme entwickelt.» Auf das neuerliche Gekicher hin konnte Jury sich vorstellen, daß da einiges ungeschickte Gefummel stattfand.
«Nun sagen Sie uns doch, wer Sie sind», sagte ein Mädchen, das Jury auf ein oder zwei Jahre jünger schätzte als Penny. Sie war vorgetreten, als wollte sie zeigen, daß sie mit dem kichernden Haufen hinter sich nichts zu tun hatte.
«Wie ich schon sagte. Niemand.»
Aus irgendeinem Grund hielt sie es jetzt für nötig, von der Kante des Gebäudes auf die Erde zu springen und fest auf dem schwarzen Lehm herumzutrampeln, den ein Gärtner vermutlich in harter Arbeit bepflanzt hatte. «Das hat Odysseus auch gesagt.»
«So?»
«Sie haben doch sicher schon von Odysseus gehört», sagte sie altklug und in einem Ton, der anzeigen sollte, daß sie heute abend zwar Shakespeare vernachlässigte, aber nicht die Griechen. «Sie erinnern sich: Als er in die Höhle der Zyklopen kam. Er rettete sich, indem er sagte, er sei Niemand.»
«Vielleicht glaubte er das wirklich. Oder Homer glaubte es.»
Jurys Belohnung für diese unerwünschte Einsicht war ein gigantischer Seufzer, während das Mädchen mit schweren Schritten durch diesen neu erblühten Garten ging und dann wieder auf die Kante des Gebäudes kletterte. Er konnte nur wenig von ihrem Gesicht ausmachen, außer daß es gespenstisch weiß, herzförmig und von Strähnen langen Haars umgeben war.
Jury ging weiter den unbeleuchteten Weg entlang, ohne zu wissen, wohin er führte. Sie freuten sich sicher, ihn los zu sein, einen Erwachsenen, der in ihre wenigen gestohlenen privaten Augenblicke eindrang. Als er schon ein geraumes Stück Weg zurückgelegt hatte, hörte er, daß das Mädchen ihm einen Abschiedsgruß nachrief. Ihr Tonfall überraschte ihn; es klang, als würde sie ein Geheimnis mit ihm teilen.
Jury drehte sich um, winkte und grüßte zurück. Im Dunkel sah er eine Zigarette aufglimmen, als der Rauchende daran zog, ehe er sie wegwarf. Sie beschrieb einen kleinen leuchtenden Bogen, der langsam erlosch: Ein goldner Schimmer in der Luft.
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