Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inspektor Jury küsst die Muse

Inspektor Jury küsst die Muse

Titel: Inspektor Jury küsst die Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
Vom Netzwerk:
hatte, und sie hielt nichts davon, im «Hilton» in die Kissen zurückzusinken und sich wie in den Staaten alles aufs Zimmer bringen zu lassen.
    «Ich habe wirklich keine Ahnung, wie ich das allein schaffen soll», wiederholte sie und lächelte verschämt.
    «Ich bring Sie schon nach Hause.»
    Das Mädchen hinter der Theke der «Ente» verkündete die Sperrstunde.
    «Noch einen auf den Weg.»
    « Noch einen! Ich bin noch nicht mit dem hier fertig – na, wenn Sie darauf bestehen …»
     
    Während der Abwesenheit ihres Begleiters prüfte sie kurz ihr Make-up im Handspiegel und fuhr sich mit dem kleinen Finger über ihre auberginefarbenen Lippen. Beim Anblick der Frauen um sie herum mit ihren blassen Lippen und ungeschminkten Gesichtern, die in dem rauchgeschwängerten Dunkel beinahe gespenstisch wirkten, fürchtete sie, sie hätte vielleicht doch etwas zu dick aufgetragen.
     
    «Whoo-ee», sagte Gwendolyn und fächerte sich mit der Hand Kühlung zu, als der vierte Gin vor ihr stand. «In diesen Pubs ist ein solches Gedränge, ich schwör’s, es ist hier heißer als drüben in Sarasota. Inzwischen kommen auch viele Engländer zu uns rüber. Aber sie fahren alle nach Miami, wo doch Floridas Westküste so viel hübscher ist … Was denken Sie, war dieses Stück nicht wundervoll? Und wäre es nicht herrlich, den ganzen Tag nichts zu tun, als im Wald von Arden herumzutollen? Ich verstehe nicht, warum dieser Wie-hieß-er-gleich so melancholisch war –»
    «Jacques, meinen Sie?»
    «Hmm. Er erinnert mich an jemanden aus Sarasota. Ich meine das Gesicht des Schauspielers. Ich habe Ihnen doch erzählt, was meine Mama immer sagt: ‹Gwennie, es ist richtig unheimlich, dein Gedächtnis für Gesichter.) Mama sagt immer, ich könne Gesichter lesen wie ein Blinder.» In Wirklichkeit hatte Mama das nie gesagt, Mama sagte ihr nämlich nie etwas Nettes. Deswegen litt sie wahrscheinlich auch unter diesem … diesem Komplex. Gwendolyn fühlte ihr Gesicht brennen und wechselte schnell das Thema. «Wirklich zu schade, daß ich Sie nicht schon vor Beginn der Vorstellung gesehen habe. Neben mir war noch ein Platz frei, den sich dann in der Pause irgendein Teenager schnappte. Konnten Sie denn vom Balkon aus etwas sehen?» Ihr Begleiter nickte, während das Mädchen hinter dem Tresen noch einmal an die Sperrstunde erinnerte. Gwendolyn seufzte. «Wirklich zu schade, daß diese Kneipen immer so früh zumachen müssen. Ich meine, gerade ist man in Stimmung gekommen, und schon muß man aufhören … Wäre es nicht nett, wenn wir noch eine kleine Spritztour machen könnten?» Das erinnerte Gwendolyn an den alten Cadillac, den Mama die ganze Zeit in der Garage stehen hatte und nur zu Hochzeiten und Beerdigungen herausholte. Gwendolyn nannte ihn die Eiserne Jungfrau. Der Caddy hatte sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit Mama, die gewöhnlich strenges Grau oder Schwarz mit einem metallischen Schimmer trug. Die winzigen Streifen in ihren grauen Augen glichen Radspeichen, der Knoten, zu dem sie ihr graues Haar hochsteckte, hatte die Form einer Radkappe. Ganz wie der alte Wagen.
    «Na, wir könnten noch einen kleinen Spaziergang machen, bevor Sie nach Hause gehen. Ich geh gern am Fluß entlang.»
    «Oh, das wäre schön», sagte Gwendolyn. Sie leerte ihr Glas und verschluckte sich beinahe, so brannte der Gin, den Mama für Teufelszeug hielt; sie nahm ihre perlenbestickte Handtasche an sich. Das blaue Brokatkleid war wohl doch des Guten zuviel gewesen. Aber wenn man nicht einmal im Royal Shakespeare Theatre Abendgarderobe tragen konnte, wann dann? Manche Leute, dachte sie, als sie das Lokal verließen, würden sogar zu einer Krönung Jeans tragen.
     
    Wie alle Pubs leerte sich die «Torkelnde Ente» wie durch Zauberei. Wenn sie schließen, schließen sie; dem Wirt scheinen plötzlich fünf zusätzliche Hände zu wachsen, mit denen er Gläser von Tischen abräumt, während für den Gast dieser letzte Schluck, dieser allerletzte Tropfen das einzige zu sein scheint, was ihn vor dem Engel der Finsternis bewahrt.
     
    Als sie die Straße überquerten, wurden die Lichter der «Ente» bereits gelöscht. Sie nahmen den unbeleuchteten Weg auf die Kirche zu – ein gemütlicher Bummel, bei dem sie sich über das Stück unterhielten.
    Als sie um die Dreifaltigkeitskirche herumgegangen waren, blieb ihr Bekannter stehen. «Was ist?» fragte Gwendolyn in der Hoffnung, die Antwort zu kennen. Sie versuchte, der in ihr aufsteigenden Erregung Herr zu werden, konnte sie

Weitere Kostenlose Bücher