Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen
die Beichte betrifft, halten Sie sich streng an die Regeln. Wirklich verdammt seltsam! Nun, da Sie mir nicht verraten wollen, weshalb Billy unbedingt beichten wollte, werde ich es Ihnen sagen.«
Father Martin lächelte. »Das wäre aber eine Erleichterung!« Er deutete auf eine Kirchenbank. »Möchten Sie sich setzen?«
»Eigentlich nicht. Was mich dabei irritiert, ist die Tatsache, dass es nicht wirklich eine ›Beichte‹ war, oder? Ich meine, nicht im strengen Wortsinn?«
»Sie fand im Beichtstuhl statt.«
»Der Vorschlag kam entweder von Billy oder von Ihnen. Von wem, ist mir egal. Billy erzählte Ihnen von seinem Großvater, dem echten, dem leiblichen, dem Nazioffizier. Und auch von den Gemälden, nicht wahr?« Der Priester zögerte. Dann nickte er. »Also doch. Offenbar besaß Billy die Art von Gewissen, das wenige Menschen haben: ein Schuldgefühl für das, was ein anderer getan hat.«
»Da haben Sie recht. So etwas ist ziemlich selten.«
»Für Billy war es fast eine Obsession. Würden Sie mir da zustimmen?«
»Schon. Ich würde sagen, es ›zehrte‹ an ihm. Wissen Sie, ich machte mir Sorgen um ihn. Deshalb ging ich ins Zetter. Er hatte vorher angerufen und über all das gesprochen.«
»Ich dachte, Sie sagten, er hätte Sie um zehn nicht erwartet.«
»Hatte er auch nicht. Ich bot an zu kommen, aber er lehnte ab, nein, er wolle früh zu Bett gehen, müsse schlafen.«
»Dann waren Sie also nicht derjenige.«
»Nein.«
Jury seufzte. »Ich weiß nicht, ob es von Billys Depressionen herrühren kann. Er war anscheinend manisch-depressiv. Oder ob es eine – seltsam, es so zu sagen – eine Art spirituelle Gabe ist.«
Father Martin sah ihn erstaunt an. »Ich weiß es auch nicht, Mr. Jury.«
Jury schaute zu der Marienstatue hinauf, zur Decke im Stil Brunelleschis. »Ich wünschte, ich hätte ihn gekannt.«
»Aber tun Sie das denn nicht?«
»Geben Sie mir nicht noch mehr Rätsel auf, Father. Mir reicht es an Geheimnissen.«
Father Martin lachte.
41
Was Melrose in Bezug auf die Ververs nicht begriff, war zum einen: wie viel sie wussten, und zum zweiten: ob Henry James uns zu verstehen geben wollte, dass Maggie Verver sich auf die schlimmste Art und Weise der Manipulation schuldig gemacht hatte.
Er las gerade – unter anderem – Die goldene Schale. Fünf Bücher lagen umgedreht aufgeschlagen auf Sofa- und Sessellehnen verstreut hier im Wohnzimmer, ein weiteres auf dem Tisch im Speisezimmer. Immer wieder nahm er eines zur Hand, las ein paar Seiten, dann ein anderes. Kein Wunder, dass er schon ganz durcheinander war.
Trotzdem war es schwierig, im James’schen Territorium herumzumanövrieren. Allzu leicht konnte man den Halt, die Verankerung verlieren und sich in einem kleinen Boot in unruhigen Gewässern wiederfinden, unsicher nach festem Land Ausschau haltend. (Fing er nun etwa schon an, in Gedanken wie eine Figur bei Henry James zu klingen?)
Aber das traf es doch, oder nicht? So mussten sich Charlotte und Amerigo gefühlt haben, als sie versuchten, ihr kleines Boot im Fahrwasser von Maggie und Adam Ververs imposanter Yacht zu steuern.
Er stand auf, ging ins Speisezimmer hinüber und spähte von dort aus dem Fenster in den wunderschönen Garten und den prächtigen Tag. Dann griff er nach einer Sammlung von Kurzgeschichten, die auf dem Büfett lag, und las weiter in »The Jolly Corner«. Schon irritierend, dass Jury sich so gut daran erinnerte!
»Mrs. Jessup!«, rief er in Richtung Küche.
Lächelnd kam Mrs. Jessup durch die Schwingtür. In ihrer Schürze, die so weiß war, dass sie funkelte, sah sie so recht wie das Inbild einer Köchin aus. »Sir?«
»Könnte ich eine Tasse Kaffee haben? Nur das, danke. Das ganze Drum und Dran brauchen Sie nicht zu bringen.«
»Ist gut, Sir.« Sie wandte sich um und verdrückte sich durch die Tür.
Melrose widmete sich wieder »The Jolly Corner«, las – wie meistens – aufrecht stehend. Nach zehn Minuten war Mrs. Jessup mit der Tasse wieder da … und mit sämtlichem Drum und Dran: Kaffeekanne, Kännchen mit heißer Milch, Zucker, Keksen.
Er fragte sich, ob das Wörtchen »Keks« jedem Mann, jeder Frau und jedem Kind in Großbritannien schon bei der Geburt ins Hirn getrommelt worden war. So tief drinnen war es, dass es schlicht unmöglich schien, eine Tasse Tee oder Kaffee ohne Kekse zu servieren.
»Danke, Mrs. Jessup … Nein, einschenken kann ich mir selber. Vergessen Sie nicht, um vier kommen diese Leute zur Hausbesichtigung. Den Nachmittagstee
Weitere Kostenlose Bücher