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Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen

Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen

Titel: Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matha Grimes
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würde herauskommen. Ginge es vielleicht« – Jury sah zum Speisesaal hinüber – »dort drüben?«
    Sie warf ihr langes schwarzes Haar aus dem Gesicht, rief in der Küche an und sagte zu Jury, Gilbert Snow wäre gleich zur Stelle. Sie deutete hinter Jury. »Ach, warten Sie doch einfach in der Bar! Dort sitzt man sehr angenehm.« Sie zeigte auf eine etwas erhöht angebrachte Fläche oberhalb der Lobby.
    Jury ließ sich auf einer mit Kissen übersäten Couch nieder und überlegte, ob er sich ein Wasser bestellen sollte. Zwischen Bar und Speisesaal befand sich eine Art Fenster, durch das er Kellner und Kellnerinnen zwischen den Tischen umhergehen sah.
    Gilbert Snow erschien ziemlich prompt. Jury stand auf und schüttelte ihm die Hand, dann bat er ihn, sich zu setzen.
    Jury sagte: »Sie arbeiten schon recht lange hier, nicht wahr?«
    »Jawohl, Sir. Seit sie aufgemacht haben. Das ist aber noch nicht lange her. Ist ja ziemlich neu. Ich war einer von den Ersten, die sie eingestellt haben.«
    »Waren Sie davor auch im Hotelgewerbe tätig?«
    »O nein, Sir, nein. Ich hab damals die Schleppkähne von der Isle of Dogs bis Gravesend gefahren. Aber dann haben sie ja angefangen zu bauen, also die ganzen Lagerhäuser in Wohnungen umgebaut, und in Lofts, so heißt das ja wohl. Ziemlich schickimicki. Also, die Isle of Dogs, mein ich, das ist jetzt bloß noch ’ne Schlafstadt. Clerkenwell, erinnern Sie sich noch, was Clerkenwell mal war? Ist ja man bloß ’n paar Jahre her. Wir reden hier nicht von Jahrzehnten, o nein, bloß ’n paar Jahre sind das.« Gilbert beugte sich näher her, den Ellbogen auf das Tischchen gestützt, als wollte er Jury etwas Vertrauliches mitteilen. »Bald ist Spitalfields dran, das wird dann wie Covent Garden. Also, früher war London doch ganz in Ordnung, so wie’s war, aber dann haben sie gemeint, sie brauchen Lofts und Garagen und Wasserblick noch dazu.« Er tat die Aussicht auf die Themse mit einer ungehaltenen Geste ab. »Ich fand’s bei uns schon in Ordnung, früher. Ich fand es gut, mit wie wenig wir haben auskommen können. Nicht wie die in Amerika. Können Sie sich ’ne Amerikanerin vorstellen ohne ihre Spülmaschine? Die wär doch glatt aufgeschmissen.«
    Jury sagte: »Es gibt aber viele in Amerika, die mit weniger auskommen, mit viel weniger. Davon erfahren wir bloß nichts. Die alten Städte in den Kohlerevieren, ausgeschlachtet, abgeräumt. Die Appalachen, Teile des Mittelwestens. Wissen Sie, was meiner Meinung nach das Problem ist mit Amerika?«
    »Nein, Sir, weiß ich nicht.«
    »Es ist einfach zu groß. Es ist verdammt zu groß.«
    Gilbert nickte. »Da könnten Sie recht haben. So groß, dass die eine Hälfte nicht weiß, was in der anderen los ist.«
    Jury nickte. »Um auf Mr. Maples zurückzukommen – hatten Sie ihn vorher schon einmal gesehen?«
    »Ein Mal, als er schon mal Gast hier war.«
    »Dann haben Sie ihn also wiedererkannt?«
    Gilbert runzelte die Stirn. »Er war draußen auf dem Patio, als ich das Abendessen brachte, und kam rein ins Zimmer, um den Beleg zu unterschreiben und Trinkgeld dazuzugeben. Sehr großzügiger Mensch.«
    »Dann sind Sie also sicher, dass es Maples war.«
    »Hm, ja, natürlich. Meinen Sie etwa, jemand kommt allen Ernstes rein und erschießt ihn und bestellt dann Essen und tut so, wie wenn er der andere wär, und geht dann einfach weg! Das wär doch richtig komisch!«
    Jury lächelte. »Sie würden sich wundern, was diese Schurken alles anstellen.«
    Gilbert schüttelte den Kopf. »Hm, das ist aber dann Ihr Job, Sir. Ich würd mich nicht drum reißen.«
    Jury lächelte. »Ja, das ist mein Job, leider.«

11
    Die Waterloo Bridge lag in dichten Nebel gehüllt, als Jury seinen Wagen ein Stunde später auf dem Victoria Embankment abstellte. Wieder einmal Erbsensuppe, sagten die Leute gern, damals, als London noch den Beinamen Smoke trug.
    Der Bereich unterhalb der Brücke diente als eine Art Feldlager und Obdach für etwa ein Dutzend dieser Unglücklichen, die tagsüber um Essen bettelten oder Abfallkörbe durchforsteten.
    Sie kannten einander, weil sie alle hier über einen längeren Zeitraum campierten. Irgendwie waren sie zu Gefährten geworden, zu einer Familie beinahe. Nachts waren selten alle gleichzeitig hier, gewöhnlich waren es bloß vier oder sechs von ihnen.
    Jury fand es erstaunlich, dass die Polizei bei diesem Übernachtungsarrangement ein Auge zudrückte, doch das tat sie, vorausgesetzt, das Grüppchen war tagsüber verschwunden –

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