Inspektor Jury schläft außer Haus
zufällig meine Tante.»
«Lunch?» fragte Lady Ardry, die ihr Cape wie einen Krönungsmantel um ihren Stuhl drapierte. «Eine gute Idee. Um wieviel Uhr denn?»
«Die Einladung, liebe Tante, galt dem Inspektor –»
Ungeduldig winkte sie über die Schulter hinweg ab. «Wir haben Wichtigeres zu besprechen als Essen.» Ihre Hände lagen auf ihrem Stock, und Jury stellte zufrieden fest, daß sie wieder ihre Handschuhe mit den abgeschnittenen Fingern hervorgeholt hatte. Einen der braunen Handschuhe umschloß Plants Armband. Jury kam es so vor, als hätten die Smaragde und Rubine bereits etwas von ihrem Glanz verloren.
«Er mußte es ja gewesen sein, dieser Matchett. Mir war das von Anfang an klar. Es läßt sich von den Augen ablesen, Inspektor. Die Augen sagen alles. Paranoid, irgendwie irre sahen sie aus, Matchetts Augen. Hart und kalt … Aber naja!» Sie schlug mit der Hand auf den Schreibtisch. «Ich kann nur sagen, gut, daß Sie da waren. Ein Mann, auf den Verlaß ist – Sie und nicht dieser schreckliche Kerl, Ihr Kriminaldirektor. Sie wollen bestimmt nicht noch mal hören, wie unmöglich er sich in meinem Haus benommen hat –»
«Nein, bestimmt nicht, Agatha», sagte Melrose, um den sich die Rauchschwaden wie eine durchscheinende Rüstung gelegt hatten.
Über die Schulter hinweg schleuderte sie ihm entgegen: «Für dich ist ja alles in Ordnung, wenn du nur auf Ardry End herumlungern kannst und eine Flasche Portwein und Walnüsse in Reichweite hast.»
«Lady Ardry», sagte Jury und war sich bewußt, daß er seine neugewonnene Popularität aufs Spiel setzte, «wenn Mr. Plant nicht mitgeholfen hätte, hätten wir es nie geschafft, Matchett hinter Schloß und Riegel zu bringen.»
«Sehr anständig von Ihnen, mein lieber Jury, Sie sind eben ein großzügiger und anständiger Mensch –»
Hinter ihr erstickte Plant beinahe an seiner Zigarre.
«Aber», fuhr sie fort, «wir wissen, wer hier die eigentliche Arbeit geleistet hat.» Sie schenkte ihm ein honigsüßes Lächeln. «Und das war weder Plant noch dieser verrückte Kriminaldirektor, der alle Mädchen im Dorf beschnüffelt hat.» Mit ihrer behandschuhten Hand polierte sie einen Smaragd ihres Armbands, beugte sich zu ihm hinüber und flüsterte: «Ich hab gehört, er war gestern abend in der Hammerschmiede und hat sich an Nellie Lickens rangemacht.»
Jury ließ seiner Neugierde freien Lauf. «Und wer ist Nellie Lickens?»
«Sie wissen doch, Ida Lickens Tochter. Die mit dem Trödelladen. Nellie hilft ab und zu bei Dick Scroggs aus; mich wundert es ja nicht …»
«Das ist doch nur Klatsch, Agatha.»
«Schon gut, Plant. Zugegeben, mein bescheidenes Zuhause ist nicht Ardry End» – sie warf Plant einen herausfordernden Blick zu – «aber Kriminaldirektor Wie-heißt-er-schon-wieder hatte kein Recht, mich so zu behandeln. Er kam hereinstolziert, schaute sich einmal um und machte wieder kehrt. Sogar ein Abendessen hatte ich für ihn gerichtet, Aalstew, eine Spezialität von mir – du brauchst gar nicht solche Geräusche zu machen, Plant –, und der Kerl hatte die Frechheit, in meine Küche zu gehen und in den Topf zu schauen!»
«Tut mir schrecklich leid, Lady Ardry, wenn New Scotland Yard Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet hat.»
«Glauben Sie mir, ich lasse es meinen Gästen an nichts fehlen. Mir kam übrigens heute die Idee, daß ich ja ein Schild raushängen könnte, ‹Zimmer mit Frühstück›. Ich glaube, ich hätte schnell den Dreh raus …»
«Wunderbar», sagte Melrose durch seinen Rauchschleier. «Unsere nächste Serie könnten wir vielleicht ‹die Northants Touristenmorde› nennen.»
«Übrigens, Plant», meinte sie über die Schulter, «warum machst du das nicht? Würde dir auch nichts schaden, mal was zu deinem Lebensunterhalt beizutragen.»
«Du meinst, ich soll Ardry End in eine Pension verwandeln?»
«Genau das. Du würdest bestimmt ein tolles Geschäft machen.» Das Glitzern ihrer Augen bewies Jury, daß ihr diese verrückte Idee gerade eben gekommen sein mußte. Sie würde jetzt jede Windmühle angreifen, die ihr im Weg stand. «22 Zimmer – du lieber Himmel! Warum haben wir nicht schon früher daran gedacht? Martha könnte das Frühstück zubereiten, und ich könnte das Ganze managen – eine Goldgrube!»
«Ich hab nicht die Zeit dafür», sagte Melrose gelassen.
«Zeit? Du hast doch nur Zeit. An der Universität bist du vielleicht eine Stunde in der Woche. Du brauchst eine Arbeit, Melrose –»
«Aber ich hab eine. Ich
Weitere Kostenlose Bücher