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Inspektor Jury spielt Domino

Inspektor Jury spielt Domino

Titel: Inspektor Jury spielt Domino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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nicht begriff und über seine Arbeit sprach, als wäre sie eine Art Hobby, auf das er sich plötzlich versteift hatte.
    Es war jedoch kein Hobby; Harkins war ein hervorragender Polizist. Und er besaß einen glasklaren, durchdringenden Verstand, dem Gefühle nichts anhaben konnten.
    Harkins knotete den Gürtel seines für die harten Winter von Yorkshire eigens gefütterten Kamelhaarmantels zu und zog sich ein Paar Handschuhe über, deren Leder so weich war, daß es auf den Händen zu zergehen schien. Auch wenn er ein ausgezeichneter Kriminalbeamter war, so brauchte man ihm das, verdammt noch mal, nicht schon von weitem anzusehen.
    Aber ein Mann von der Kripo sollte seine Zeit nicht über seiner Garderobe vertrödeln. Um die verlorene Zeit wieder wettzumachen, sprang er in seinen Lotus Elan, jagte den Motor auf hundertfünfzig hoch und hoffte beinahe, irgendeine idiotische Streife würde versuchen, ihn auf der fünfundzwanzig Kilometer langen und total vereisten Strecke zwischen Rackmoor und der Küste anzuhalten.
     
    «Die hat ihr Fett abgekriegt, was?»
    Sergeant Derek Smithies verzog das Gesicht. So redete man vielleicht beim Fußball, aber nicht bei einem blutigen Mord.
    Ian Harkins erhob sich von der Stelle, an der er gekniet hatte, und rückte die Schultern seines Mantels zurecht. Sein ausgemergeltes Gesicht ließ ihn zehn Jahre älter erscheinen, als er tatsächlich war. Um den skelettartigen Eindruck etwas zu mildern – die Backenknochen ragten hervor wie Balkone –, trug er einen langen, vollen Schnurrbart. Er hatte seine schönen butterweichen Handschuhe ausgezogen, um die Leiche zu inspizieren; wie ein Chirurg streifte er sie nun wieder über.
    Von dem Polizeirevier in Pitlochary, einer Stadt, die fünfmal so groß war wie Rackmoor, aber trotzdem nur eine kleine Polizeieinheit besaß, hatte Inspektor Harkins ein halbes Dutzend Männer angefordert, unter ihnen den Arzt des Orts und den Wachtmeister, der hinter ihm stand und sich Notizen machte. Der Tatort-Sachverständige war bereits wieder gegangen. Der Spezialist für Fingerabdrücke, ein Mann, der angeblich selbst von den Flügeln einer Fliege Abdrücke nehmen konnte, wurde noch erwartet. Der Pathologe stand auf, grunzte und wischte sich die Hände ab.
    «Und?» fragte Harkins und schob sich eine dünne, handgerollte kubanische Zigarre in den Mund.
    Der Arzt zuckte mit den Schultern. «Ich weiß nicht. Es sieht aus, als hätte jemand mit einer Mistgabel auf sie eingestochen.»
    Harkins blickte ihn an. «Eine ziemlich unhandliche Waffe. Raten Sie noch mal.»
    Genauso bissig erwiderte der Arzt: «Vampire.»
    «Sehr komisch.»
    «Ein Eispickel, eine Ahle, weiß der Himmel; sie sieht aus wie ein Sieb. Der Eispickel scheidet aus – was immer es war, es muß mehr als einen Zinken gehabt haben. Wenn ich die Leiche genau untersucht habe, kann ich Ihnen mehr sagen.»
    Harkins ließ sich wieder auf dem Boden nieder. «Das Gesicht … Können Sie mal Ihre Taschenlampe draufhalten!» rief er einem der Männer zu, die die Treppe absuchten. Wie riesige Glühwürmchen bewegten sich drei oder vier Taschenlampen die Stufen rauf und runter. Eine davon wurde zu ihnen herübergeschwenkt und beleuchtete das Gesicht der Frau. «Unter dem Blut scheint Make-up zu sein, sieht aus wie Theaterschminke. Die eine Hälfte ist schwarz, die andere weiß. Merkwürdig.» Harkins stand auf und klopfte mit seinen Handschuhen den Staub von seinen Hosen. «Zeit?» zischte er.
    Umständlich zog der Arzt seine dicke Taschenuhr hervor und sagte: «Genau ein Uhr neunundfünfzig.»
    Harkins warf seine Zigarre auf den Boden und zertrat sie mit dem Absatz. «Verdammt, Sie wissen genau, was ich meine.»
    Der Arzt ließ seine Tasche zuschnappen. «Ich bin Ihnen nicht unterstellt, vergessen Sie das bitte nicht. Ich würde sagen, sie ist seit zwei, vielleicht auch schon seit drei Stunden tot. Ich bin nichts weiter als ein Landarzt, und Sie haben mich hierhergebeten. Also seien Sie höflich.»
    Als wäre Höflichkeit nur eine Vokabel im Wörterbuch von Landärzten, wandte sich Harkins an Wachtmeister Smithies: «Lassen Sie die Treppe oben und unten absperren und ein paar Verbotsschilder dranhängen. Und jagen Sie die Leute da weg.» Seit Harkins und dann die andern Polizeiautos aufgetaucht waren, erschienen unten auf der Grape Lane ständig neue, gespenstisch wirkende Gesichter. Mehr und mehr Dorfbewohner taumelten aus ihren Betten, um nachzuschauen, was der Krach zu bedeuten hatte. Harkins schaffte

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