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Inspektor Jury spielt Domino

Inspektor Jury spielt Domino

Titel: Inspektor Jury spielt Domino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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hinüber. «Was Teddy wohl dafür bezahlt hat? Sieht italienisch aus.»
    Sie hätte die ganze Einrichtung innerhalb von zehn Minuten taxiert und mit Preisschildern versehen, dachte Melrose. «Früher waren die Kirchenstühle mit einem Vorhang versehen, und die Pfarrer hatten eine Sanduhr auf der Kanzel stehen. Dauerte die Predigt länger als eine Stunde, dann drehte der Pfarrer die Sanduhr einfach um. Und wer genug hatte von dem Gepredige, konnte den Vorhang vorziehen. Wenn ich mich nicht irre, hat Lord Byron, als er in Yorkshire Freunde besuchte und mit ihnen in die Kirche ging, sofort den Vorhang zugezogen.»
    Agatha kaute daran, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn, während sie ein Törtchen mit einer fürchterlichen hellblauen Glasur verdrückte. Nach einer längeren, für sie ziemlich ungewöhnlichen Schweigepause fragte sie: «Melrose, erinnerst du dich noch an diesen merkwürdigen Onkel Davidson? Den aus der Familie deiner lieben Mutter, Lady Marjorie.»
    «Ich erinnere mich an den Namen meiner Mutter. Was ist mit diesem Onkel?»
    «Er war ziemlich verrückt, jeder in der Familie wußte das. Er redete nur wirres Zeug, und ich frage mich manchmal …» Sie entfernte das Papier von dem nächsten Törtchen. «Ich meine, du sagst und tust auch die seltsamsten Dinge. Gerade jetzt denkst du daran, dich aufzumachen in dieses öde, kleine Fischerdorf an der Küste –»
    «Fischerdörfer pflegen nun einmal an der Küste zu liegen.» Er erinnerte sich, daß sie es ein «pittoreskes, kleines Fischerdorf» genannt hatte, als sie sich noch in dem Glauben befand, die Einladung dorthin gelte auch ihr.
    Schaudernd fuhr sie fort: «Die Nordsee mitten im Winter! Wenn es Scarborough wäre – Scarborough im Sommer –, das würde ich mir noch gefallen lassen!»
    Ein Greuel, dachte Melrose. Scarborough im Sommer bedeutete Strandpromenaden und Badegäste und Agatha, die wie eine Klette an ihm hing. Melrose gähnte und blätterte eine Seite der York Mail um. «Nun gut. Mag sein.»
    «Ich verstehe nicht, wie du überhaupt auf den Gedanken kommst.»
    «Weil ich eingeladen wurde, liebe Tante, deswegen geht man doch im allgemeinen irgendwohin.» Das war jedoch danebengegangen: Agatha hatte sich selbst bei Teddy eingeladen, als sie herausfand, daß Melrose nach Yorkshire fahren würde. Und er glaubte, ihr auch nicht abschlagen zu können, sie nach York mitzunehmen, da es ja praktisch auf seinem Weg lag. Und im Grunde hatte er nichts dagegen, in York haltzumachen, denn es war ein reizvoller Ort: Einmal gab es die Kathedrale mit der goldenen Kanzel, dann das verwinkelte Shambles mit seinen eng zusammengebauten, krummen und schiefen Läden und Häusern. Und gestern hatte er sogar einen hübschen, ganz versteckten Club entdeckt, in dem er sich in einem rissigen Ledersessel ausstrecken und ausruhen konnte, bis die Leichenstarre einsetzte. Heute morgen war er ein Stück an der Stadtmauer entlanggegangen. Schönes, altes York.
    «… doch nur ein Baron.»
    In seinen Betrachtungen über Stadtmauern und Stadttore gestört, fragte Melrose: «Was?»
    «Dieser Sir Titus Crael. Er ist doch nur Baron, während du …»
    «Während ich überhaupt keinen Titel habe. Es gibt aber viele von uns, wir schießen in ganz England wie Pilze aus dem Boden, und ich habe gehört – das kann allerdings auch ein Gerücht sein –, daß wir London umzingelt haben und daß Cornwall schon in unserer Gewalt ist. Vielleicht müssen wir es aber erneut aufgeben.» Er schnappte sich wieder die Zeitung.
    «Oh, hör auf mit dem Quatsch, Melrose. Du weißt ganz genau, was ich meine. Du kannst dich nicht einfach Melrose Plant nennen, niemand nimmt dir das ab. Statt Earl of Caverness. Und zwölfter Viscount Ardry, und Enkel von –»
    Sie war in Fahrt geraten und würde wie eine Gebetsmühle sämtliche Titel herunterrasseln, wenn er sie nicht daran hinderte: «Ich fürchte, sie müssen sich damit abfinden, da ich mich selbst damit abgefunden habe. Ist es nicht komisch, daß die Welt sich trotzdem weiterdreht?»
    «Ich weiß wirklich nicht, warum du dich darauf versteifst. Du bist einfach apolitisch. Dein Vater hätte vielleicht das Zeug zu einem Politiker gehabt. Aber du hast überhaupt keine Ambitionen.»
    Nur die eine, mich davonzumachen, dachte Melrose. Sie würde immer weiter bohren, aber er hatte nicht die Absicht, sich dazu zu äußern. Er lehnte sich zurück und starrte zur Decke hoch. Er dachte an seinen Vater, den er sehr geliebt und verehrt hatte. Nur seine

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