Inspektor Jury spielt Domino
es, seiner nächsten Frage, einer ganz simplen und naheliegenden Frage, einen absolut ätzenden Ton zu verleihen. «Temple war der Name, nicht wahr?»
Smithies versuchte, sich so klein wie möglich zu machen, was für einen Mann von seiner Größe nicht gerade einfach war. «Jawohl, Sir. Sie soll im ‹Fuchs› abgestiegen sein, dem Gasthof an der Mole.»
«Fremd hier?»
«Ich nehme an.»
«Sie nehmen an. Und wie erklären Sie sich diese seltsame Aufmachung? Tauchen in Rackmoor häufig solche Gestalten auf?» Als trüge Smithies persönlich die Verantwortung für das Auftauchen dieser Frau in Schwarz und Weiß.
«Es ist ein Kostüm, Sir …»
«Was Sie nicht sagen.» Harkins zündete sich eine neue Zigarre an.
«… der Abend vor dem Dreikönigsfest. Im Old House fand ein Kostümball statt. Sie muß auf dem Weg dahin gewesen oder von dort gekommen sein.»
«Wo zum Teufel ist das Old House?»
Smithies deutete die Engelsstiege hoch; sein Finger schnellte so heftig hervor, als wolle er die Kirche durchbohren. «Wenn Sie aus der Gegend sind, müssen Sie das Herrenhaus kennen, Sir. Es heißt ‹Zum Alten Fuchs in der Falle›.»
«Ich denke, so heißt der Gasthof?»
«Stimmt. Nur gehört der Gasthof dem Colonel zur Hälfte, und er hat ihn nach dem Haus benannt. Damit es keine Verwechslung gibt, nennen wir das eine Old House und das andere den ‹Fuchs›. Ursprünglich hieß Kittys Kneipe ‹Zum Kabeljau›. Aber der Colonel, Colonel Crael, ist ein passionierter Jäger –»
«Von mir aus kann es auch Tante Fannys Bierstübchen heißen, ist doch – Moment mal, meinen Sie Sir Titus Crael? Diesen Colonel Crael?»
«Ja, ihn, Sir.»
«Sie meinen, sie –» er zeigte auf die Stufe, von der die Leiche gerade in einem Plastiksack heruntergetragen wurde – «hat zu seinen Gästen gehört?»
«Ich nehm’s an, Sir.» Harkins murmelte etwas und blickte auf den mit Kreide markierten Umriß, als hätte er sie am liebsten wieder dort hingeschafft.
Inspektor Harkins hatte wenig Respekt vor seinen Vorgesetzten; sie mochten sich in Pitlochary, Leeds oder London befinden. Und vor seinen Untergebenen hatte er überhaupt keinen; er war vielmehr der Meinung, daß sie ihre untergeordneten Positionen innehatten, weil sie es nicht anders verdienten.
Vor einer Sache hatte er jedoch Respekt: vor einem guten Namen. Und die Craels gehörten zu den besten Familien von Yorkshire.
Er befand sich in einer Zwickmühle: Einerseits hätte er die Leiche am liebsten wieder auf ihren Platz zurückgelegt – sollte sich doch London den Kopf darüber zerbrechen.
Andererseits war er Ian Harkins.
Zweiter Teil
Vormittag
in Yor k
1
Melrose Plant legte die Zeitung auf sein Knie und drehte die Sanduhr um.
«Woher hast du dieses Ding?» Zwischen Lady Agatha Ardry und ihrem Neffen befand sich ein farbenfroher Axminster-Teppich und eine Tortenetagere. Seit einer Stunde lungerte sie wie ein junger Wal auf dem Queen-Anne-Sofa und stopfte sich mit Obsttörtchen und Brandy-Snaps voll, ihr zweites Frühstück, wie sie erklärte.
Kuchen um elf Uhr? Melrose erschauerte, beantwortete aber ihre Frage.
«Aus einem Antiquitätenladen bei den Shambles.» Er schob seine Goldrandbrille auf seiner eleganten Nase zurecht und vertiefte sich wieder in seine Zeitung.
«Und?» Sie hielt ihre Teetasse mit abgespreiztem kleinem Finger. Es mußte ihre dritte oder vierte Tasse sein, dachte er.
«Was, und?» In der Hoffnung, auf ein Kreuzworträtsel zu stoßen, mit dem er sich die Zeit vertreiben konnte, blätterte er die Seite um.
«Und warum drehst du es jede Minute um?»
Melrose Plant blickte sie über den Brillenrand hinweg an. «Es ist ein Stundenglas, liebste Agatha. Wenn ich sie jede Minute umdrehen müßte, hätte sie ihren Zweck verfehlt.»
«Red nicht in Rätseln. Möchtest du denn nichts von den hübschen Dingen, die uns Teddy hingestellt hat?»
«Teddy wird nicht merken, daß ich nichts gegessen habe.»
Teddy. Eine Frau, die zuließ, daß man sie Teddy nannte, hatte es auch verdient, Agatha vierzehn Tage lang auf dem Hals zu haben. Er fragte sich, für was Teddy eigentlich stand: Theodora wahrscheinlich, so wie sie aussah. Eine stattliche Frau mit feuerroten Haaren, die wie ein brennender Busch ihren Kopf umstanden. Heute morgen war sie einkaufen gegangen.
«Du hast mir immer noch nicht meine Frage beantwortet. Warum hast du die Sanduhr umgedreht? Auf dem Kaminsims steht doch eine wunderbare Uhr, eine Uhr, die geht.» Sie blinzelte zum Kamin
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