Inspektor Jury spielt Katz und Maus
hab ich serviert. Die Gaslaterne, die ist in der Nähe vom Embankment, genau in der engen Straße, die vom Regency abgeht. Was man da für Trinkgeld machen konnte! Und überhaupt, das Regency! Man mußte fast so reich wie die Königin sein –» Sie zeigte mit der Zigarette auf das Foto. «Ich hab die Amy Lister hier nicht gekannt, aber sie hat die Zimmermädchenuniform vom Regency an. Die Zimmermädchen oder der Portier sind mit den Hunden der Gäste Gassi gegangen, wenn die das nötige Kleingeld springen ließen. Hm, hab ich mir da gesagt, was macht unsere Carrie Fleet mit dem Foto hier?»
«Und Sie haben versucht, Amy Lister ausfindig zu machen?»
Sie verpaßte ihrem Gatten einen anerkennenden Klaps. «Joe hat’s versucht. Pech gehabt.»
«Sie sind ins Regency gegangen?» Jury betrachtete die lachende junge Frau auf dem Foto, der Bürgersteig glänzte vor Nässe. Sie sah nett aus. Sie ließ sich draußen naß regnen – warum auch nicht, wenn Flossie meinte, das Geld hätte gestimmt. «Gefunden haben Sie sie nicht?»
Jetzt wollte Joe aber mal Tacheles reden. «Sie haben doch null Ahnung, Superintendent. Scotland Yard!» Er beugte sich vor, seine Bierfahne wehte Jury ins Gesicht. «Ich hab mir ein bißchen Geld eingesteckt, nicht viel – wir leben schließlich von Stütze –»
Jury sah zum Videorecorder hinüber. «Verstehe.»
«– und hab dem alten Penner am Empfang zwanzig Lappen – zwanzig – gegeben, weiße Handschuhe, schwarzer Schlips, man konnte ja meinen, das ganze Dienstpersonal wollte zu einem Scheißball. Egal, ich hab ihn bezahlt, damit er mir was über das Zimmermädchen auf dem Bild verklickert.» Brindle spannte Jury genüßlich auf die Folter. Er öffnete in aller Ruhe eine weitere Flasche, zündete sich noch eine Zigarre an und blies noch einen Rauchring in die Luft.
«Stellt sich raus, er kann sich nicht an ihren Namen erinnern, aber an ihr Gesicht. Meint, soweit er weiß, arbeitet sie im Haushalt irgendwo in Chelsea, also geh ich dahin , ’n echtes Stückchen Schnüfflerarbeit, was?»
«Kommt drauf an. Was haben Sie herausgefunden?»
Brindle blies noch ein paar wunderschöne Rauchringe. «Noch gar nichts. Sie war gegangen, hat nicht mal gekündigt.» Furchen simulierter Nachdenklichkeit zogen über seine Stirn. «Aber ich bin nicht blöde. Die finde ich.»
«Wer’s glaubt, wird selig.» Die Stimme, die klang, als könne sie keinem menschlichen Wesen gehören, kam von der Couch. Jury hatte nicht gemerkt, daß das Mädchen aufgewacht war.
Die Brindle-Tochter drehte sich um und blickte Jury durch die verqualmte Luft an. «Carrie hat die Katze gefüttert, immer. Und sie hat nie was gewollt, und sie hat nie versucht, sich zwischen mich und die da zu stellen. Nicht, daß viel zwischen uns war. Aber das hat Carrie nie versucht.»
Das Mädchen – er wußte nicht, wie sie hieß. Sie blieb liegen, stützte sich auf einen Ellenbogen. Das Zimmer hatte sich verändert, als ob sich eine Gruft geöffnet hätte und die Stimme eines Toten die Lebenden erschreckte. Sie sah Jury offen an, und zu seiner Überraschung stellte er fest, daß sie sehr hübsch war. Weil sie unter den Decken vergraben gewesen war, hatte er gedacht, sie sei lediglich ein dummes, stummes Kind mit fettigem Haar.
«Über das Foto da hab ich lange nachgedacht», sagte sie. «Er» , und mit einem geringschätzigen Kopfnicken deutete sie auf Joe Brindle, «hat’s nie kapiert. Kommt aus Chelsea zurück, nein, sie können sich an keine Amy erinnern, die bei ihnen gearbeitet hat.»
Brindle senkte den Kopf.
Das Mädchen sah Jury fast flehentlich an. «Konnten sie ja wohl auch schlecht. Es ging nicht um das Zimmermädchen. Amy war der Hund.»
Sie lehnte sich wieder zurück, legte den Arm über die Augen und verstummte.
22
D URCH DIE OFFENE T ÜR von Chief Superintendent Racers Büro sah Jury den Kater Cyril. Er saß auf Racers Ledersessel und putzte sich sorgfältig die Pfoten. Die üblichen Oktobernebel und -nieselregen waren einem sonnendurchfluteten Nachmittag gewichen, das Licht strömte durch das Fenster des Chefzimmers und besprenkelte Cyrils kupferfarbenes Fell.
Anders als seine Herrin, Retterin oder wie auch immer man Racers Sekretärin bezeichnen mochte, schien Cyril der Auffassung zu sein, daß Sauberkeit und nicht Schönheit einen durch die Himmelspforten brachte. Fiona Clingmore war felsenfest davon überzeugt, daß die Kunst des Nagellackierens im Himmel gefragt war. Zu ihren frischlackierten Nägeln, die sie
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