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Inspektor Jury spielt Katz und Maus

Inspektor Jury spielt Katz und Maus

Titel: Inspektor Jury spielt Katz und Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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lassen, die, wenn sie daran vorbeikamen, ein schwaches, geradezu überirdisches Licht auf ihr Gesicht warfen.
    «Also los, erzählen Sie. Sie dürfen beichten, was Sie wollen.»
    Sie zog die Stola enger um sich, wie vorher die Strickjacke. Er legte den Arm um sie. «Warum zum Teufel ziehen Sie sich keine wärmeren Sachen an?»
    «Damit die Leute versucht sind, den Arm um mich zu legen.»
    «Oh. Auch gut. Setzen wir uns.» Sie waren wieder an einer Bank angelangt. «Reden Sie weiter.»
    «Worüber?»
    «Über Paul Fleming. Ich wollte es nur wissen, bevor ich nach London fahre. Das ist alles.»
    Sie senkte den Kopf und zupfte an den Fransen der Stola. «Warum? Wer ist in London?»
    Jury grinste im Dunkeln und dachte an Carole-anne Palutski, die ihr Bestes tat, die professionelle Abschlepperin zu spielen. «Das schönste Mädchen der Welt.»
    Jetzt war Gillian an der Reihe, Oh zu sagen. Es war ein sehr trauriges Oh.
    Er hatte immer noch den Arm um sie gelegt und schüttelte sie sanft. «Du lieber Himmel, Gillian, ich mache doch nur Spaß. Ja, sie ist wunderschön. Und neunzehn Jahre alt, und ich bin ihr Vaterersatz.» Jury machte eine Pause. «Mehr oder weniger.»
    Gillian lachte und verbarg das Gesicht in der Stola. «Mehr vermutlich.»
    «Weniger. Denken Sie, ich stehe auf Neunzehnjährige?»
    Sie sah ihn offen an. «Nein. Stehen Sie denn auf Fünfunddreißigjährige?»
    Endlich sagte Jury: «Ich könnte es ja mal versuchen.»
    Die Bank war kalt und wenig einladend. Was man von Jury nicht behaupten konnte.
     
    Nachdem er sorgsam alle Knöpfe ihres Kleides wieder geschlossen hatte, sagte sie etwas sehr Merkwürdiges: «Stimmt’s, ich sollte dich aus dem Labyrinth retten?»
    «Ich als Theseus? Immerhin hat mich der Minotaurus nicht erwischt. Woher weißt du also, daß du mich nicht gerettet hast?»
    Sie lachte. Soweit er sehen konnte, war sie zum erstenmal richtig fröhlich. «Na, dazu bedarf es aber einer wahren Ariadne. Die bin ich nicht.»
    Jury hob ihr Kinn. «Wer ist denn die wahre?»
    Gillian überlegte. «Carrie Fleet. Die könnte dir heraushelfen.»
    Jury erinnerte sich, wie Carrie Fleet an der einen Verandatür gestanden hatte und Gillian an der anderen, und hatte das seltsame Empfinden, daß Carrie am Ende wirklich den Schlüssel zu dem Geheimnis in Händen halten mochte.
    Das verstörte ihn, aber er wußte nicht, warum.
    Deshalb sagte er bloß: «Ich mag ältere Frauen. Sogar solche, die in eine Geschichte mit einem anderen Mann verwickelt sind. Ich kann warten.»
    Zum Abschied küßte er sie.
     

V IERTER T EIL
    A UCH IHR VERHARRT
IM D UNKELN

21
    D AS SCHÄBIGE R EIHENHAUS der Brindles lag in der ebenso schäbigen Crutchley Street. Flossies halbherzige Verschönerungsversuche waren vom Wetter, von trampelnden Kindern und einfach durch mangelnde Pflege schnell wieder zunichte gemacht worden.
    Jury konnte sich Carrie Fleet in diesem Milieu kaum vorstellen; sie paßte hier überhaupt nicht hin.
    Joe Brindle war wenig erfreut, daß die Polizei bei ihm aufkreuzte – von New Scotland Yard ganz zu schweigen.
    «Ich bleibe nicht lange, Mr. Brindle.» Jury meinte, was er da sagte.
    Die Brindles saßen in tiefen Clubsesseln und musterten ihn finster, kamen aber nicht auf die Idee, Jury einen Stuhl anzubieten. Er hätte sich ohnehin nicht gesetzt, und es gab auch keine große Auswahl, denn auf einer Couch schlief ein Mädchen. «Ich wollte Ihnen nur ein paar Fragen zu Carrie Fleet stellen. Dieser Brief, den Sie der Baronin geschrieben haben –»
    Mit bebender Hand stellte Brindle sein Bass Ale auf den Boden und sah sich den Umschlag an. «Na und? Die ganzen Jahre haben wir sie versorgt, oder etwa nicht? Wir haben sie gefunden, wie sie in dem Wäldchen rumlief.»
    Flossie wollte auch mitreden, erhob sich, sackte dann aber träge zurück und tastete im Alkoholnebel nach Worten. «Ganz schön harter Brocken war die Carrie. Nie was gesagt; nie mit den Blagen geholfen; nur bei den Tieren.» Und in einem Anfall von Wehmut – vielleicht war die sogar echt – stieß sie ihren Mann am Arm und fragte: «Und was war das noch für ein alter Terrier, nach dem sie so verrückt war?» Sie sah Jury an. «Drei Beine hatte der. Was will man mehr? Äußerlichkeiten waren ihr nicht so wichtig, stimmt’s?» Flossie schüttelte ihre Locken und ermöglichte Jury noch einen Blick auf ihre Knie.
    «Der Brief, Mr. Brindle?»
    Brindle sah den Umschlag noch einmal an, zuckte mit den Schultern, gab ihn zurück. Dann stand er auf, ein

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