Inspektor Jury spielt Katz und Maus
davontrug. (Sallys Krallen waren lang und lackiert.)
Aber in Wirklichkeit legte einen der Tod in eine Holzkiste. Ihr Vater war so beerdigt worden. Sie überlegte, wie es sich wohl anfühlen mochte – aber er konnte ja nichts mehr fühlen, oder etwa doch? Wenn er tot war? Es war vier Jahre her, aber sie erinnerte sich genau an die Totenwache, das Aufbleiben, das Singen und Trinken, und sie hatte es sehr merkwürdig gefunden, daß sie eine Party feierten, obwohl ihr Dad tot war. Es ist keine Party, hatte ihr Opa ihr erklärt, wir sorgen nur dafür, daß dein lieber Vater in den Himmel kommt. Ihre Mutter war bei ihrer Geburt gestorben. Ihren Dad hatte sie geliebt, weil er immer gute Laune hatte und ihr sagte, wie hübsch sie sei und daß ihre Augen ihn an die Seen von Killarney erinnerten.
Angeblich hatte sie riesiges Glück mit diesem englischen Onkel, der einen Gasthof in Hampshire besaß und sie so gern zu sich nahm. Weil er ihr viel mehr bieten konnte und sie aus Belfast herausgeholt hatte. Neahle erinnerte sich verschwommen an Belfast, eine Stadt mit hellen Läden auf der einen Seite und zerbrochenem Glas und mit Brettern vernagelten Häusern auf der anderen.
Ein paar Jahre lang war alles gutgegangen im «Hirschsprung», bis er einmal nach London gefahren und mit einer Frau zurückgekommen war, die Neahle Meara überhaupt nicht leiden konnte. Neahle war vor Sally dagewesen und lebte bei John MacBride. Wieso war diese Sally sich so sicher, daß Neahle nicht auch die Dame seines Herzens war?
Neahle seufzte. Onkel John hatte sich sehr verändert, seit Sally auf der Bildfläche erschienen war. Sie seufzte noch einmal. Ihr Kätzchen war winzig und interessierte sich wohl kaum für Särge. Carrie hatte es erst gestern gefunden und gesagt, sie würde es bei den anderen Tieren unterbringen, wenn es nicht bei Neahle sein konnte. Sie hatte eine alte Schultasche mit Luftlöchern versehen, damit Neahle es in ihr Zimmer schmuggeln konnte, und sogar einen Vorrat an Kitekat mitgebracht und im Spielhaus verstaut. Außer Neahle ging niemand dorthin. Das Häuschen war vom Gasthof aus nicht zu sehen, und sie konnte dort mit dem Kätzchen spielen, ohne entdeckt zu werden.
Neahle durfte keine Haustiere halten. Nur die Hühner und Küken im Hühnerstall.
«Küken sind aber doch keine Haustiere», hatte Neahle argumentiert. «Man kann sie nicht mit ins Bett nehmen und nicht mit ihnen spielen, gar nichts.»
Sally hatte das Verbot ausgesprochen. Immer hieß es: Jetzt reicht’s aber, mein Fräulein. Und an John MacBride gewandt: So eine Frechheit.
«Dann könnte ich doch vielleicht einen Fisch oder so was haben.»
«Hm, also, Liebling», sagte Onkel John. «Ich weiß nicht, was dagegen spräche, du, Liebling?»
Das Wort Liebling war an eines der am wenigsten liebenswerten Geschöpfe gerichtet, die Neahle kannte.
Sie hatten am Eßtisch gesessen, Neahle hatte gekocht und dabei eine Schürze getragen, die fast bis zum Boden reichte. Obwohl sie erst neun war, steckte sie Sally MacBride (geborene Britt) beim Kochen allemal in die Tasche, denn ihr Großvater hatte angefangen, es ihr beizubringen, als sie fünf war. Es gab Fisch, deshalb war Neahle auf einen Fisch gekommen.
Sally stocherte wenig damenhaft in ihren langen Pferdezähnen herum. «So, ein Fisch darf’s sein? Einen Goldfisch im Glas, der die ganze Bude vollstänkert. Nein danke, mein Fräulein.»
Neahle ging um den Tisch und räumte die Teller zusammen. Der Abwasch war auch ihr Job. «Eigentlich wollte ich lieber einen Hai», sagte sie und rannte aus dem Zimmer. «Dummes Gör», kreischte ihr Sally MacBride hinterher.
Heute morgen stand sie vor dem Problem, daß sie die Katze füttern mußte. Deshalb erhob sie sich aus dem Sarg und traute sich ans Tageslicht, bevor Sally die Fledermaus an ihre Tür geflattert kam und ihr sagte, sie solle aufstehen und Frühstück machen.
Danach ging Sally immer zurück ins Bett und überließ es Neahle, Porridge und Eier zu kochen. Gegen acht kam dann Maxine Torres, das mürrische Hausmädchen, das aussah wie eine Zigeunerin, und meckerte lauthals, wenn sie Neahle bei irgend etwas erwischte. Maxine arbeitete auch manchmal für die Baronin. Neahle mochte die Baronin, weil sie irgendwie verrückt war und Carrie alles durfte, was Sally MacBride Neahle nie im Leben erlauben würde. Neahle durfte fast nirgendwohin, aber über diese Verbote setzte sie sich stets hinweg – denn wenn sie nur dahin gegangen wäre, wo sie hingehen durfte,
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