Inspektor Jury spielt Katz und Maus
korallenrotes Samtband mit einer Kameebrosche, und zwischen dem Band und ihrer Taille trug sie im großen und ganzen nichts. Minimal Art war wohl dieses Jahr in Mode, dachte er.
«Ich wollte ein Kostüm ausleihen.»
Sie musterte ihn von oben bis unten. «Da sind Sie ja hier goldrichtig. Was für eins?»
«Eigentlich nur ein paar Frauenklamotten –»
Ihr Lächeln änderte sich.
«Mit so was können wir nich dienen, Süßer. Auch nich mit Peitschen und Ketten.» Sie kicherte. «Kaum zu glauben, bei einem, der so aussieht wie Sie –»
Lächelnd unterbrach Jury dieses Kompliment. «Von Mode habe ich leider keine Ahnung. Haben Sie was, das Ihrer Meinung nach besonders französisch aussieht?»
«Drunter oder drüber, junger Mann?» Mit der Zunge, korallenrot wie das Band, fuhr sie sich über die Lippen.
«Sehr witzig. Es geht um ein Kleid. Elegant, aber sexy –»
Sie beugte sich über die Verkaufsvitrine mit Glitzermasken, die Hände gefaltet, das Kinn darauf gestützt. Jury fragte sich, ob ihr nicht kalt an der Brust wurde, weil die im Prinzip nur von der Glasplatte abgestützt wurde. Sie schaute ihn an, als sei ihr noch nie ein so faszinierendes Ansinnen gestellt worden. «Das wird hart, Süßer.»
Langsam verlor Jury die Geduld. Damenoberbekleidung einzukaufen war ja immens anstrengend. Doch er lächelte nur noch entwaffnender. «Aber nicht für Sie, wette ich. Ungefähr Größe –» Er taxierte sie von oben bis unten, nur um ihr eine Freude zu machen. «Nein, ein bißchen größer.»
Sie beugte sich noch weiter vor. «Wo?»
«Mehr oder weniger, wo Sie sich drauflehnen, Werteste.»
Wieder kicherte sie. «Sie sind mir ja ein ganz Frecher!»
Das fand Jury nicht, er wollte die Angelegenheit nur schnell hinter sich bringen. Das einzige Problem waren das Kleid und der Hut. Ein Zobelcape hatte er schon erspäht. Es für einen Tag auszuleihen kostete ihn womöglich ein Monatsgehalt.
Er folgte ihr durch die an Bügeln hängenden Klamotten und mußte zugeben, sie verstand ihr Geschäft. Sie schätzte die Größe auf sechsunddreißig. «Busen so in Ordnung?» Sie hielt sich das Kleid vor ihren.
«Ja, ganz bestimmt.»
Durch korallenrote Lippen blitzten ihn winzige weiße Zähne an. Das Kleid war aus gerafftem Crêpe de Chine, glänzend grün, tief angesetzte Taille … na ja, von Taille konnte man eigentlich nicht reden. «Perfekt.»
Er hatte sich gegen einen Hut entschieden; warum das Haar verbergen? «Dahinten ist ein Zobelcape, ein kurzes. Wieviel?»
«Wie lange?»
«Einen halben Tag vielleicht?»
Sie wickelte das Kleid in Seidenpapier und steckte es in eine Tüte. «Wir verleihen nur für ganze Tage. Für Sie ein Hunderter.»
«Großer Gott.» Er zückte sein Scheckheft.
«Ja, aber Sie bekommen ja was davon zurück. Pfand, wissen Sie. Wir wollen ja nicht, daß Hinz und Kunz mit diesem kleinen Teil von dannen geht.»
Er nahm das Paket und fragte, wie sie hieß.
«Doreen», sagte sie hoffnungsfroh.
«Sie machen Ihren Job sehr gut, meine Liebe.» Jury nahm seinen Ausweis heraus. «Ich aber auch. Um den Zobel brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.»
Sie starrte ihn an: «Ich glaub, ich spinne.»
23
J URY HATTE KAUM DIE S CHWELLE des Hauses in Islington betreten, als über ihm im zweiten Stock das Fenster aufflog und unter ihm im Souterrain ein Riegel zurückgeschoben wurde.
«Superintendent!» schrie Carole-anne Palutski.
«Psst! Mr. Jury» , flüsterte Mrs. Wasserman.
Carole-anne hatte kein Telefon, deshalb hatte er Mrs. Wasserman – für die das Telefon lebenswichtig war, weil sie so wenig ausging – angerufen, um sicherzugehen, daß Carole-anne da war. Was nicht unbedingt nötig gewesen wäre, denn für Carole-anne begann der Tag ohnehin erst um zwölf Uhr mittags.
Beide Damen warteten sehnsüchtig auf seine Rückkehr. Er rief Carole-anne, die ein Fähnchen von einem Nachtgewand anhatte – oder besser: nicht anhatte –, sie solle sich mal wieder reinverziehen; er werde in einer Minute oben sein. Dann brachte er sein Paket und ein paar Blumen in Mrs. Wassermans Wohnung hinunter.
Eigentlich war es eher eine Festung. Die Riegel waren zurückgeschoben, die Kette ausgehakt, jetzt mußte sie sozusagen nur noch die Zugbrücke herunterlassen. Sicher fühlte sich Mrs. Wasserman immer nur eine bestimmte Zeit lang. Sobald Jury das neueste Schloß oder die neueste Fensterverriegelung installiert und sie sich daran gewöhnt hatte, war es mit ihrem Gefühl von Sicherheit auch schon wieder vorbei.
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