Inspektor Jury spielt Katz und Maus
messerscharfen Bügelfalten und sauste dann blitzschnell zur Tür hinaus, die Jury vorsichtshalber ein paar Zentimeter offengelassen hatte.
Etliche Kraftausdrücke und ein Papierbeschwerer flogen hinter Cyril her.
«Miss Clingmore! Schmeißen Sie das Biest aus dem Fenster!»
Das war der übliche Ausklang des Cyril-Rituals.
Auch Jury bekam meist keine besonders netten Worte mit auf den Weg. Der Chef hätte ihn am liebsten am Spieß gebraten, weil er befürchtete, daß Jury und nicht Cyril eines Tages auf seinem Sessel sitzen würde.
Daß Jury vielleicht lieber Straßen gekehrt hätte, kam Racer nicht in den Sinn. In seinen Augen mußte doch jeder in Jurys Rang hinter dem Chefposten her sein.
«Die Polizei in Hampshire hat mir die Hölle heiß gemacht, Jury. Wie haben Sie es fertiggebracht, daß das wieder auf meinem Schreibtisch landet?» Er wartete die Antwort nicht ab, sondern spulte Jurys jahrelange ungeheuerliche Verfehlungen und Pflichtversäumnisse in allen Einzelheiten herunter, als ließe er ein Tonband laufen.
«Eigentlich wurde meine Anwesenheit eher begrüßt – Sir.»
Racer entging die winzige Pause nicht, und er starrte Jury wütend an. «Sie turteln da in Hampshire rum und untersuchen ein paar Unfälle –»
«Mag sein.»
« Mag sein? Selbst Wiggins kann den Unterschied zwischen Unfall und Mord erkennen. Nehme ich an.»
«Ich hätte gern vierundzwanzig Stunden. Mehr nicht. Sie kommen doch sicher vierundzwanzig Stunden ohne mich aus.»
Das bringt ihn in die Bredouille, dachte Jury. Racer erzählte ihm ja immer wieder, die Met könne für ewig und alle Zeiten ohne ihn auskommen. Während Racer also mit dem Problem kämpfte, unterbrach Jury das Schweigen: «Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten. Sie haben schließlich und endlich Einfluß .» Das Blumenmädchen auf den Treppen von St. Paul’s hätte seine Sträuße nicht besser an den Mann gebracht.
«Selbstverständlich habe ich den. Wäre ich da, wo ich bin –?» Dann wurde ihm wieder klar, wer da vermeintlich an seinem Stuhl sägte, und er fuhr rasch fort: «Was für einen Gefallen?»
«Sie essen doch ziemlich oft im Regency zu Mittag …?» Ziemlich selten, wußte Jury.
Der Chief Superintendent lächelte sein hauchdünnes Lächeln. Er schnipste sich etwas vom Revers, als habe da noch ein Krümel eines opulenten Zehngängemenüs gehangen. «Wenn ich Zeit habe. Warum?»
«Kennen Sie jemanden namens Lister?»
Um zu vertuschen, daß er natürlich niemanden namens Lister kannte, fragte Racer, wie Jury denn darauf komme, dieser Lister habe Zugang zum Regency. «Sie wissen doch, was das für ein Hotel ist. Geld allein bringt einen nicht dort hinein, sondern Status. Und Informationen aus dem Management rauszuleiern, können Sie sich abschminken. Der Direktor ruft den Polizeipräsidenten nur an, wenn mindestens zehn Gäste bei ihrem Rémy erstochen werden. Oder bei ihrem Armagnac.»
Bei Kognak kannte Racer sich aus.
Jury kannte den Namen des Direktors nicht, und genau den wollte er wissen. Ob der Direktor den Polizeipräsidenten anrief oder nicht, war ihm ziemlich egal. Solange er nicht bei Lister anrief. Und bei seinem Plan hoffte er inbrünstig, daß es sich nicht um eine Direktorin handelte. Aber das Regency legte bestimmt zuviel Wert auf Tradition, als daß eine Frau den Posten bekleiden würde. «Soll einer der besten in London sein», sagte Jury und hoffte, Racer würde den Köder schnappen.
Tat er. «Sie meinen Duprès?»
«Hm.»
«Und woher kennen Sie Duprès? Rumgeschnüffelt?»
Nein. Sie haben ihn doch gerade erwähnt. «Hab den Namen irgendwo gehört.»
«Mit der Plebs gibt sich Georges aber nicht ab.»
Danke für den Vornamen.
«Dafür hat er einen Assistenten.»
«Kann ich mir denken. Also, was ist mit den vierundzwanzig Stunden –?»
Racer winkte ab. «Hampshire kann Sie haben. Ich habe zu tun.»
Jury ging hinaus. Dabei schlüpfte der Kater Cyril hinein; geräuschlos, fast unsichtbar glitt er über den kupferfarbenen Teppich.
Als erstes ging er in den Kostümverleih in einer Seitenstraße der St. Martin’s Lane, der von Theaterleuten sowie von Reichen frequentiert wurde, die auf feuchtfröhlichen Maskenbällen als Marie Antoinette oder Harlekin erscheinen wollten.
«Hallöchen, Süßer», flötete eine Stimme.
Jury drehte sich um und sah eine junge Frau mit feuerroten Locken und schwarzumrandeten Augen. Offenbar hatte sie sich auch gerade für einen Ball zurechtgemacht. Um den Hals trug sie ein
Weitere Kostenlose Bücher