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Instrumentalität der Menschheit

Instrumentalität der Menschheit

Titel: Instrumentalität der Menschheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordwainer Smith
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erzählen kann, was er sagt. Aber ich weiß nicht, wie oft ich es wiederholen kann, meine Herren. Ich bin ein kranker Mann. Mir geht es nicht gut. Mir ist es nie sehr gut gegangen. Mein Bruder hat sein Leben genossen. Ich nicht. Ich habe nicht viel vom Leben gehabt und nie irgend etwas geleistet, und ich bin nie irgendwohin gereist. Mein Bruder hat alles bekommen. Mein Bruder bekam die Frau, er bekam das Mädchen – er bekam das einzige Mädchen, das ich je begehrt habe, und dann hat er sie nicht geheiratet. Er genoß das Leben und ging fort, und dann starb er. Er machte Scherze, und nie ließ er es zu, daß jemand ihm überlegen war. Und, meine Herren, mein Bruder ist tot. Verstehen Sie das? Mein Bruder ist tot.«
    Wir sagten, wir wüßten, daß sein Bruder tot sei. Wir verrieten ihm nicht, daß man ihn ausgegraben und den Sarg geöffnet und die Gebeine durchleuchtet hatte. Wir erwähnten nicht, daß die Knochen gewogen und neue Abdrücke von den Überresten seiner Finger abgenommen worden waren, die sich noch in recht gutem Zustand befanden.
    Wir sagten ihm nicht, daß man die Umstände seines Todes überprüft hatte und daß jeder, der irgendwie damit in Verbindung stand, verhört worden war.
    Wir sagten nichts von alldem. Wir erklärten nur, wir wüßten, sein Bruder sei tot. Das wußte er auch.
    »Sie wissen, daß mein Bruder tot ist, und dennoch dringt aus diesem seltsamen Apparat seine Stimme. Nur seine Stimme ist wieder aufgetaucht …«
    Wir nickten. Wir sagten, wir wüßten nicht, wie seine Stimme dort hineingelangt war, und wir behaupteten, nicht einmal etwas von einer Stimme zu wissen.
    Wir erwähnten nicht, diese Stimme schon tausendmal gehört zu haben, ohne auch nur zu ahnen, an welcher Stelle wir sie gehört hatten.
    Wir verrieten ihm nichts von unserem Versuch in der SAC-Basis und daß jeder Mann dort den Namen Nelson Angerhelm vernommen hatte, ohne angeben zu können, wo.
    Wir sagten ihm nichts davon, daß der gesamte sowjetische Geheimdienst lange Zeit darüber gebrütet hatte und daß unsere Leute von dem unangenehmen Gefühl beherrscht wurden, daß einer von den Sputniks oben im All darin verwickelt war.
    Wir erzählten nichts von alledem, aber wir wußten es. Wir wußten, wenn er die Stimme seines Bruders gehört hatte und etwas aufzeichnen wollte, dann mußte es eine sehr ernste Angelegenheit sein.
    »Kann ich Ihnen etwas diktieren?« fragte der alte Mann.
    »Ich werde mir Notizen machen«, versicherte der FBI-Agent.
    Der alte Mann schüttelte den Kopf. »Das reicht nicht«, erwiderte er. »Ich schätze, wenn überhaupt, dann wollen Sie alles haben, und allmählich beginne ich Bruchstücke zu verstehen.«
    »Bruchstücke?« echote der FBI-Agent.
    »Bruchstücke von den Worten, die von all den Geräuschen übertönt werden. Die Stimme meines Bruders spricht zu mir. Er sagt Dinge – mir gefällt nicht, was er sagt. Es ängstigt mich, und es macht alles schlecht und schmutzig. Ich bin nicht sicher, ob ich es ertragen kann, und ich werde das nicht zweimal durchmachen. Ich werde statt dessen lieber zur Kirche gehen.«
    Wir blickten einander an. »Können Sie zehn Minuten warten? Ich glaube, ich kann ein Tonband besorgen.«
    Der alte Mann nickte. Der FBI-Agent ging hinaus zum Wagen und schaltete das Funkgerät ein. Eine lange Antenne schob sich aus dem Wagen, der ansonsten wie eine völlig unverdächtige Chevrolet-Limousine wirkte. Er setzte sich mit seiner Dienststelle in Verbindung. Man schickte ein Tonbandgerät mit einer Polizeieskorte von Minneapolis nach Hopkins. Ich weiß nicht, wie lange man gewöhnlich dafür benötigt, aber der Bursche am anderen Ende der Leitung sagte: »Geben Sie mir besser zwanzig bis zweiundzwanzig Minuten.«
    Wir warteten. Der alte Mann wollte nicht mit uns sprechen, und er wollte nicht, daß wir das Band abspielten. Er saß da und schlürfte seinen Whisky.
    »Vielleicht sterbe ich dabei, und ich möchte, daß meine Freunde dann in meiner Nähe sind. Mein Pfarrer heißt Jensen, und für den Fall, daß mir etwas zustößt, halten Sie ihn bereit, aber ich glaube nicht, daß etwas passiert. Halten Sie ihn nur bereit. Vielleicht sterbe ich, meine Herren, ich kann nicht viel davon ertragen. Es ist das Schockierendste, was einem Menschen je widerfahren ist, und mir scheint, daß Sie nicht davon betroffen sind. Begreifen Sie, daß es mich umbringen kann, meine Herren?«
    Wir gaben vor zu wissen, wovon er sprach, obwohl keiner von uns auch nur die leiseste Vorstellung hatte,

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