Instrumentalität der Menschheit
verstehen konnte.
Die Frau sprach. Ihre Stimme war alt und matt, aber sie sprach Deutsch.
»Also, Juli, bist du endlich gekommen. Laird hat mir gesagt, daß er dich herunterholt. Ich bin so glücklich, dich zu sehen und zu wissen, daß du gesund bist.«
Juli zitterte. Sie wußte es, sie wußte es, aber sie konnte es nicht glauben. Zuviel hatte sich verändert, zuviel war geschehen in der kurzen Zeit seit ihrer Rückkehr ins Leben.
Keuchend, bebend flüsterte sie: »Carlotta?«
Ihre Schwester nickte. »Ja, Juli, ich bin es. Und dies ist mein Gemahl, Laird.« Sie nickte dem stattlichen jungen Mann hinter ihrem Sessel zu. »Er hat mich vor über zweihundert Jahren heruntergeholt, aber unglücklicherweise ist es nicht möglich, einen Alten dem Verjüngungsprozeß zu unterziehen, der nach unserem Aufbruch von der Erde entwickelt wurde.«
Juli begann zu schluchzen. »O Carlotta, es ist alles so schwer zu glauben. Und du bist so alt! Du warst doch nur zwei Jahre älter als ich.«
»Liebling, ich habe zweihundert Jahre Glückseligkeit hinter mir. Man konnte mich nicht verjüngen, aber man konnte zumindest mein Leben verlängern. Nun, ich habe nicht aus rein altruistischen Gründen Laird gebeten, dich herunterzuholen. Karla ist noch immer dort draußen, aber da sie erst sechzehn Jahre alt war, als sie eingeschläfert wurde, glauben wir, daß du der Aufgabe besser gewachsen sein wirst.
Offen gesagt haben wir dir wirklich keinen Gefallen getan, dich zu uns zu holen, da du von nun an altern wirst. Aber auf ewig in suspendierter Animation zu schlafen, das ist auch kein Leben.«
»Natürlich nicht«, stimmte Juli zu. »Und außerdem – hätte ich ein normales Leben geführt, wäre ich auch gealtert.«
Carlotta beugte sich nach vorn, um ihr einen Kuß zu geben.
»Zumindest sind wir endlich wieder zusammen«, seufzte Juli.
»Liebling«, sagte Carlotta, »es ist wunderschön, diese kurze Zeit mit dir zu verbringen. Du siehst, daß ich sterbe. Ab einer gewissen Grenze können die Wissenschaftler trotz ihrer hohen Technologie einen Menschen nicht mehr am Leben erhalten. Und wir brauchen Hilfe, Hilfe bei der Rebellion.«
»Der Rebellion?«
»Ja. Gegen die Jwindz. Sie waren Chinesen, Philosophen. Jetzt sind sie die wahren Herrscher der Erde, und wir – so glauben sie – sind lediglich ihre Instrumentalität, ihre Polizeikräfte. Mit ihrer Macht beherrschen sie nicht den Körper des Menschen, sondern die Seele. Hier ist dieser Begriff fast in Vergessenheit geraten. Statt dessen sagt man ›Geist‹ dazu. Sie nennen sich selbst die Vollkommenen, und sie trachten danach, die Menschen nach ihrem eigenen Bild zu formen. Aber sie sind schwach, unbeweglich, blutleer.
Sie haben Personen aus allen Völkern rekrutiert, aber die Menschen reagierten kaum darauf. Nur einige wenige sehnen sich nach jener ästhetischen Vollkommenheit, die sich die Jwindz zum Ziel gesetzt haben. So haben die Jwindz auf ihre Kenntnisse von den Drogen und Opiaten zurückgegriffen, um die Wahren Menschen in betäubte, gleichgültige Wesen zu verwandeln – um sie leicht zu regieren, all ihre Handlungen zu kontrollieren. Unglücklicherweise haben sich einige unserer Nachkommen« – sie nickte Laird zu – »ihnen angeschlossen.
Wir brauchen dich, Juli. Seit meiner Ankunft haben Laird und ich alles in unserer Macht Stehende getan, um die Wahren Menschen von dieser Form der Sklaverei zu befreien, denn es ist eine Sklaverei. Es ist ein Mangel an Vitalität, fehlender Lebenssinn. In den alten Zeiten gab es ein Wort dafür. Erinnerst du dich? ›Zombie‹!«
Während der ganzen Unterhaltung zwischen den Schwestern hatten Herkie, der Bär und Laird geschwiegen.
Nun schaltete sich Laird ein. »Bis Carlotta zu uns kam, waren wir hilflos der Macht der Jwindz ausgesetzt. Wir wußten nicht einmal, wie es war, ein menschliches Wesen zu sein. Wir waren überzeugt, unser einziger Lebenszweck sei es, den Jwindz zu dienen. Wenn sie vollkommen waren – welche andere Aufgabe blieb uns dann schon? Es war unsere Pflicht, ihre Wünsche zu erfüllen – die Städte zu erhalten und zu schützen, die Wilden zu vertreiben, die Drogen zu nehmen. Einige von der Instrumentalität stellten sogar den Unbefugten Menschen, den Heillosen und, als letztes Mittel, den Wahren Menschen nach, um den Nachschub für ihre Laboratorien zu sichern.
Aber nun glauben viele von uns nicht mehr an die Vollkommenheit der Jwindz – vielleicht haben wir auch etwas gefunden, an das zu glauben sich
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