Internat auf Probe
das wohl bedeutet.
„Bestimmt möchtest du auch die Wohnräume sehen?“ Frau Müller-Stürzelbach klackert weiter über das Parkett, ohne eine Antwort abzuwarten. „Die Zimmer der Unter- und Mittelstufe befinden sich im Westflügel. Unsere Oberstufe ist in einem externen Gebäude untergebracht.“ Sie zeigt vage nach links, dann nach rechts, deutet aus einem der großen Fenster, hinter denen Carlotta verschwommen ein weiteres Gebäude erkennen kann, und trippelt schließlich eine breite Steintreppe hinauf und kurz darauf einen noch längeren Flur entlang.
„Unsere Unterstufenschüler leben in Dreier- oder Viererappartements.“ Frau Müller-Stürzelbach schließt eine Zimmertür auf. Das Zimmer dahinter ist ziemlich klein und eng. Vier Betten stehen darin, und vier Schreibtische. An den Wänden hängen Bücherregale, daneben kleben Poster von Popstars, Pferden und Hunden. Vor den Fenstern sind bunte Gardinen angebracht. In einer Ecke steht ein kleiner Fernseher, auf einem Schreibtisch ein Computer mit Flachbildschirm.
Carlotta sieht sich neugierig um. Sehr ordentlich sieht es zwar nicht gerade aus, aber eigentlich ganz nett.
Frau Müller-Stürzelbach klimpert mit ihrem Schlüsselbund und lächelt. „Unsere Schüler richten ihre Zimmer ganz nach ihrem persönlichen Geschmack ein“, sagt sie. „Kein Raum gleicht dem anderen. Wie man unschwer erkennen kann, ist dies ein Mädchenzimmer. Schön bunt, nicht?“
Carlotta nickt. Sie fragt sich, wo das Badezimmer ist. Hinter der Tür sieht sie nur ein kleines Waschbecken mit einer Ablage und einem Spiegel.
„Die Gemeinschaftswaschräume, Duschen und Toiletten befinden sich am Ende des Flurs“, sagt Frau Müller-Stürzelbach, als könne sie Carlottas Gedanken lesen.
„Wenn du willst, zeig ich dir noch die Aufenthaltsräume und den Speisesaal. Draußen kannst du dich dann ruhig alleine umsehen. Ich muss gleich zurück zum Empfang.“ Sie zieht die Tür hinter sich zu und schließt sorgfältig ab. „Wir haben mehrere Sportplätze und -hallen, eine Schwimmhalle, außerdem Tennis-, Fußball- und Hockeyplätze, einen Reitstall, ein Bootshaus und einen Bootsanleger am See. Viele Schüler segeln, und unsere Rudermannschaft ist sehr erfolgreich.“
„Ich weiß“, sagt Carlotta. „Mein Vater hat früher auch hier gerudert. Er hat noch ziemlich viele Medaillen und Urkunden zu Hause.“
„Ist doch prima“, meint Frau Müller-Stürzelbach. „Dann kannst du ja direkt in seine erfolgreichen Fußstapfen treten.“
Carlotta will gerade erwidern, dass sie vom Rudern nur so viel versteht, dass man dazu Wasser, ein Boot und zwei Ruder benötigt, aber die Sekretärin hat sich schon umgedreht und eilt im Laufschritt weiter.
Carlotta kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Das ist echt eine Schlossbesichtigung im Schnelldurchlauf!
Als die Führung zu Ende ist, stellt sie erstaunt fest, dass trotz des Eiltempos mehr als eine Stunde vergangen ist. Frau Müller-Stürzelbach begleitet sie nach draußen und zeigt ihr den kürzesten Weg zum See.
„Vielleicht sehen wir uns dann ja nach den Ferien“, sagt die Sekretärin, als Carlotta sich bei ihr bedankt. „Ich würde mich freuen.“
„Ja, ich mich auch“, antwortet Carlotta.
Als sie allein ist, runzelt sie die Stirn. Ob sie nach den Ferien wiederkommt, steht doch noch gar nicht fest. Und ob sie sich freuen würde, erst recht nicht.
„Egal“, brummt Carlotta. Sie folgt dem gewundenen Weg durch den blühenden Park. Hinter den alten Bäumen kann sie schon den See schimmern sehen. Sie hat ihren kleinen Rucksack mit der Kamera und eine Tüte Gummibärchen dabei. Vielleicht kann sie ein paar Fotos machen.
Zum Glück hat es aufgehört zu regnen. Carlotta reckt den Hals und atmet tief ein. Die Luft ist warm, und die Blumen im Schlosspark duften mindestens so gut wie ihr grasgrünes Kuschelkissen.
Schön ist es hier, denkt sie, als sie das Seeufer erreicht.
An einem langen Bootssteg sind mehrere schneeweiße Segelboote vertäut. Im Schatten eines Bootshauses liegen schnittige Ruderboote verkehrt herum im Gras. Die Vorstellung, dass Papa vielleicht schon in einem von ihnen gesessen haben könnte, bringt Carlotta zum Kichern.
Auf dem See quakt eine Ente, eine andere antwortet ihr. Ein Schwanenpaar zieht majestätisch vorbei und würdigt sie keines Blickes.
Carlotta breitet die Arme aus und blinzelt in die Sonne. Ob es hier immer so friedlich ist? Nee, bestimmt nicht. So riesig, wie das Schloss ist, wohnen hier bestimmt
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